DIE KOLUMNE – Leer-Ost: Nach Beschimpfungen und Drohungen folgen 20 Jahre bester Entwicklung

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Wer heute in der Leeraner Ost-Stadt und rund um das ehemalige MZO-Gelände unterwegs ist, der stellt fest: Hier sieht es beiderseits der Bahnlinie gut aus. Die Straßen sind in Schuss, , die meisten Häuser in einem guten Zustand und mit dem Bürgerzentrum Osseweg und dem Nachbarschaftsreff des Bauverein Leer gibt es neben Kirchen und Sportverein weitere Anlaufpunkte für das Miteinander im Quartier. Kurzum: Hier lässt es sich gut leben. Das war vor mehr als zwei Jahrzehnten anders. Heftige Auseinandersetzungen, teils Beschimpfungen und Drohungen, spalteten die Menschen im Stadtteil. Mehr als 20 Jahre später wird nun bald gemeinsam die Erfolgsgeschichte gefeiert, nachdem der Stadtrat das Programm offiziell zum 31.Dezember 2023 beendet hat.

Rückblick. Mitte 2001 beschließt der Stadtrat, die Ost-Stadt als städtebauliches Sanierungsgebiet auszuweisen. Die Aufnahme in das bundesweite Förderprogramm „Soziale Stadt“ lässt hoffen, dass einige Millionen an Fördergeldern in das Quartier kommen. Allerdings: Was genau dieses Förderprogramm an Besonderheiten damals mit sich brachte, war zu Beginn nur den wenigsten Bürgern im Quartier klar – und auch der Politik und im Rathaus eher nicht. Das Programm machte erstmals konkrete Vorgaben für eine intensive Bürgerbeteiligung. Nicht mehr im Rathaus und nur mit Fachbüros musste erarbeitet werden, was passieren soll. Nein, eine intensive Beteiligung der Menschen war angesagt. „Runder Tisch“ nannte sich das in Anlehnung an die demokratischen Formate, die gut zehn Jahre zuvor in der damaligen DDR erfunden wurden. Es dauerte jedoch nur wenige „Runde Tische“, bis aus der friedlichen Runde Termine wurden, bei denen es richtig zur Sache ging. Im kirchlichen Hermann-Lange-Haus oder im Vereinsheim von Germania Leer mischten über 100 Bürger kräftig mit. Die Grundstückseigentümer machten ihrem Ärger Luft, als ihnen klar wurde, dass sie die Wertsteigerung, die sich durch einen modernen Stadtteil für ihre Häuser und Grundstücke ergeben würden, mitbezahlen müssen. „Ausgleichsbeiträge“ war das Unwort. Abenteuerliche Rechnungen kamen auf den Tisch. Die Oma von nebenan würde um ihr Erspartes gebracht werden oder müsse das eigene Haus sogar verkaufen – friedliche und sachorientierte Bürgerbeteiligung war anders gedacht. Die guten Möglichkeiten und die hohen Fördergelder, die fließen sollten, fielen hintenrunter. Viele Gespräche der Stadt und des Sanierungsträger um Peter Tautz führten letztlich zu einer Lösung. Dabei wurde festgelegt, wie hoch die Ausgleichsbeiträge maximal sein dürfen. Eigentümer erhielten frühzeitig die Möglichkeit, ihren Anteil zu bezahlen, um – salopp gesagt – mit dem Thema durch zu sein. Die Stadt hat durch den „Deal“ auch Planungssicherheit bekommen und zwischenzeitlich wurden 85 Prozent der Ausgleichsbeiträge – kalkuliert sind 2,3 Mio. Euro – bereits gezahlt.

Das Geld der Anlieger ist im Vergleich zu dem, was bewegt wurde, nur ein Bruchteil. Über 20 Millionen Euro sind durch Fördermittel geflossen. Wenn Studien zutreffen, dann haben diese das bis zu siebenfache an privaten Investitionen nach sich gezogen. Mit Blick auf das, was gemacht wurde, können die Planer und die Verantwortlichen im Rathaus feststellen: Selbst die Revitalisierung des MZO-Geländes, die viele Jahre unmöglich schien, ist am Ende gelungen. Lediglich ein größeres Gelände, dass damals als Standort für attraktives Wohnen ausgemacht wurde, wurde nicht zum Leben erweckt. Das lag aber nicht an den Planern, sondern daran, dass das Grundstück der Maschinenfabrik Cramer in Privatbesitz ist. Dafür wurden aber neben den Investitionen in Steine und Straßen auch zahlreiche so genannte Mikro-Projekte umgesetzt, die auf ganz unterschiedliche Art und Weise das Miteinander im Quartier gestärkt haben. Sehr viele Vereine und Investitionen konnten so Akzente setzen, die ohne eine Förderung nicht möglich gewesen wäre.

Die Soziale Ost-Stadt – der Name war übrigens eine Erfindung für das Projekt; der Volksmund kannte diese Bezeichnung nicht – ist nun Geschichte. Für Leer allerdings geht das Thema Soziale Stadt weiter. Seit 2016 gibt es die „Soziale Weststadt“. Wieder gelten die gleichen Regeln, wieder gibt es den Runden Tisch und eine Sanierungskommission – aber dieses Mal sind die Diskussionen weit weniger heftig. Ab und an werden mal persönliche Interessen – dabei dann durch Menschen, die aufgrund ihres Berufes die Rahmenbedingungen und Baurecht kennen, oder die für ihre Haltungen bekannt sind – „nach vorne gedrückt“, aber die Verantwortlichen wissen dieses definitiv auch besser zu händeln. Erfahrungen und der Blick auf die Erfolgsgeschichte Ost-Stadt machen klug. Nur schade, dass in den 2020 und 2030 Jahren nicht mehr so üppig Geld aus Brüssel, Berlin und Hannover fließen wird, wie bei der Ost-Stadt.

Nun wird in diesem Jahr erst einmal in der Ost-Stadt ein Fest gefeiert. Man darf gespannt sein, was sich das Rathaus und die Menschen im Quartier dazu einfallen lassen. Denn ein solches Fest – das steht nach den ersten acht Jahren mit den Veränderungen und Planungen bereits fest – wird es in vielen Jahren wohl auch für die Weststadt geben.

Holger HartwigDIE KOLUMNE – Leer-Ost: Nach Beschimpfungen und Drohungen folgen 20 Jahre bester Entwicklung