Es ist eher eine Seltenheit, dass sich Verwaltungen auf kommunaler Ebene öffentlich streiten und Widersprüche sowie Klagen im Raum stehen. Meist wird im Austausch eine Lösung gefunden – dieses Mal ist es aber nicht der Fall. Es läuft alles darauf hinaus, dass sich die Stadt und der Landkreis Leer bald vor dem Verwaltungsgericht in Oldenburg treffen. Es geht ums liebe Geld – um viel Geld. 28,5 Mio. Euro Kreisumlage muss die Stadt auf das Kreiskonto zahlen. Knapp drei Millionen Euro sind davon einer „Sonderbehandlung“ zu verdanken, da die Stadt 58,06 „Punkte“ – so nennt man den Berechnungssatz – statt 52 Punkte wie die übrigen Kommunen zahlen muss.
Warum die Stadt Leer mehr zahlt? Es hängt mit der Übernahme der Kindertagesstätten der Stadt durch den Kreis zusammen. Der Kreis meint, dass die Stadt mit der erhöhten Kreisumlage mehr zahlen muss, die Stadt lehnt das ab und hat gegen die monatlichen erhöhten Abbuchungen vom Stadtkonto, die brav geleistet werden, Widerspruch eingelegt. Erneute Einigungsversuche – der Kreis soll ein verbessertes Angebot an die Stadt zur Höhe der direkten Kostenbeteiligung gemacht haben – sind gescheitert. Der Kreis wird nun wohl den Widerspruch ablehnen und die Stadt – vorausgesetzt der Rat geht den eingeschlagenen Weg der Konfrontation mit dem Kreis weiter – wird dann klagen. Am Ende wird dann die stärkste Fraktion im Rat, die SPD, ihren Parteigenossen, Landrat Matthias Groote und damit indirekt auch seine starke SPD-Kreistagsfraktion, vor den Kadi ziehen.
Beide Seiten – Kreis- und Stadtverwaltung – sehen sich, wen wundert´s, im Recht. Ein aktuelles Urteil der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Hannover vom 15. Mai 2023 macht die Sache nun noch spannender. Das Gericht gab den Klagen der Samtgemeinde Leinebergland und deren drei Mitgliedsgemeinden (Flecken Duingen, Flecken Eime und Stadt Gronau) statt. Der Fall ist vergleichbar: Der Kreistag Hildesheim hatte 2019 beschlossen, dass für die Gemeinden, die den sog. Kita-Vertrag nicht abschließen oder kündigen, die Kreisumlage 65 Prozent gilt, für die übrigen 55,8 Prozent. Inwieweit das Urteil, das noch nicht rechtskräftig ist, als Präzedenzfall für Leer gesehen werden kann, ist allerdings zwischen Kreis und Stadt wieder strittig. Der Kreis sagt, dass der Urteilspruch nicht auf die aktuelle Frage zutrifft, weil der Gesetzgeber – das Land Niedersachsen – eine rechtliche Änderung ab 1. November 2021 vorgenommen hat. Die Stadt bleibt bei ihrer Haltung. Mal sehen, wie das ausgeht. Bis auf weiteres zahlt die Stadt die erhöhte Summe und geht lediglich das Risiko der Anwalts- und Gerichtskosten ein. Dazu ist die Verwaltung bereit. Verliert der Kreis, muss er hingegen zurückzahlen. Abwarten, wie weit sich das Duell „Bürgermeister gegen Landrat“ als Kämpfer um jährlich drei Mio. Euro weiterentwickelt. Noch steht der Termin vor Gericht nicht, aber der Showdown naht.
Nun könnte man meinen, dass es ja „nur“ drei Mio. Euro sind. Schließlich hat der Kreis einen Gesamtetat von etwa 450 Mio. Euro, die Stadt einen knapp dreistelligen. Die Entscheidung über die erhöhte Kreisumlage für die Stadt und die Höhe der Kreisumlage insgesamt wird insofern auch spannend, weil der Kreis und alle Kommunen davon ausgehen können, dass die „fetten“ Jahre mit steigenden Steuereinnahmen dem Ende entgegen gehen. Noch wird darüber wenig öffentlich gesprochen, doch die Verwaltungen sind längst mit der Frage beschäftigt, wie sich der Rückgang an Einnahmen trotz Inflation auffangen lässt. Denn: Bei allen Haushaltsplanungen werden die Einnahmen lediglich geschätzt. Sie basieren auf den Werten der Vorjahre. Auch die Unternehmen zahlen ihre Gewerbesteuer basierend auf den Vorjahresergebnissen. Läuft es in der Wirtschaft schlechter, was im Moment in fast allen Branchen der Fall ist, müssen die Kommunen nicht nur mit weniger Einnahmen insgesamt rechnen, sondern auch noch bereits vereinnahmtes Geld zurückzahlen. Das kann in einigen Fällen sehr „teuer“ werden und alle Vorausberechnungen zunichte machen. In Leer – so ist aus der Verwaltung zu hören – sind diese Umstände bereits „angedacht“ und man hofft, angesichts der Wirtschaftsstruktur der Kreisstadt mit einem blauen Auge davon zu kommen.
Was passieren kann, erleben bereits die Bürger und Vereine in Schleswig-Holstein. Die Landesregierung von Schleswig-Holstein hat bundesweit als erste mit einem offiziellen und weitreichenden Schritt auf die drohende Entwicklung reagiert. Dort hat man eine – vorübergehende – Haushaltsperre verhängt, d.h. freiwillige Leistungen an beispielsweise Vereine und neue Förderbescheide gibt es nicht mehr. Man geht davon, dass das Land bis 2027 insgesamt etwa 2,8 Mrd. Euro weniger an Einnahmen haben wird, davon allein 400 Mio. in diesem Jahr. Hinzu kommen noch steigende Ausgaben durch Inflation und hohe Tarifabschlüsse. Das sind keine rosigen Aussichten, die da wohl auf alle kommunalen Finanzplanungen bei schrumpfender oder stagnierender Wirtschaft zukommen. Sind die „fetten“ Jahre bald vorbei, wonach es aussieht, dann tun die strittigen „nur“ drei Mio. Euro. für Stadt oder Kreis auf jeden Fall noch mehr weh.