DIE KOLUMNE – Soziale Weststadt: Entwicklung ohne Zukunftsthemen

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Es ist das langfristigste Projekt in der Ledastadt: Bis 2031 wird die Weststadt durch das groß angelegte Förderprogramm „Soziale Stadt“ mit weit über 10 Millionen Euro Fördergeld – darunter Projekte mit einem Anteil von 90 Prozent, da die Stadt Leer als „finanzschwach“ eingestuft ist – auf Vordermann gebracht. 2016 ist das Projekt, für das eine umfassende Bürgerbeteiligung vorgeschrieben ist, gestartet. Erste Vorhaben sind realisiert, Erfolge stellen sich ein.

Das Konzept, wie es Leer bereits in der Oststadt seit 2001 erfolgreich realisiert hat, hat zwei Zielrichtungen: die Modernisierung der Infrastruktur und die Stärkung des sozialen Miteinanders. Warum Leer aus sozialen Gesichtspunkten gleich zweimal in diese Förderkonzepte aufgenommen wurde, ist auf den ersten Blick kaum nachvollziehbar. Landesweit ist das Soziale-Stadt-Konzept eher in größeren Städten angesiedelt, wo die sozialen und interkulturellen Herausforderungen deutlich spürbarer sind als im kleinen Leer. Sei´s drum. Mit der erneuten Aufnahme, die politisch vor Ort und in Hannover beim Land gewollt war, haben sich viele Möglichkeiten ergeben, die sonst nicht finanzierbar wären. Die Oststadt belegt, was alles neu gemacht werden kann: angefangen von der Modernisierung von Wohnungen über Straßen- und Spielplatzerneuerungen bis zur Schaffung von Begegnungsstätten. So sind in der Weststadt bereits 92 Wohnungen der städtischen KWL mit Millionen-Aufwand – darunter drei Millionen Fördergeld – auf Vordermann gebracht worden und können weiter zu bezahlbaren Mieten deutlich unter dem üblichen Marktpreis in der Stadt angeboten werden.

Haus Hermann setzt dauerhaft Akzente

Zudem gibt es mit dem „Haus Hermann“ eine Anlaufstelle für Jung und Alt im Quartier in einer umgebauten Bestandsimmobilie. Das erfreuliche dabei: Anstelle von ansonsten bei derartigen Vorhaben eher kurzzeitig finanzierten Projekt-Arbeitsplätzen, wird die Stadt Leer dauerhaft zwei Mitarbeitende einstellen, die Aktivitäten für das Miteinander im Quartier organisieren. So gesehen ist der seit über 30 Jahren immer wieder vom SPD-Urgestein Hans Fricke geäußerte und politisch kontinuierlich abgeschmetterte Wunsch doch noch Realität geworden. Spannend bleibt, wie das Angebot des Haus Hermann langfristig angenommen wird und wie es sich mit den Nachbarschaftstreff-Aktivitäten des Bauvereins Leer und der übrigen Vereine und Institutionen im Quartier in Einklang bringen lässt.

Nur eine Oststadt 2.0

Bedauerlicherweise ist die Weststadt für Leer allerdings nur eine Art Oststadt 2.0. Es werden erneut die klassischen Dinge umgesetzt, wie es seit Jahrzehnten landauf landab praktiziert wird. Das ist nicht schlimm, denn gute, bezahlbare Wohnungen und neu gestaltete Wege und Flächen heben die Lebensqualität. Aber: Geht es um die derzeit im großen Stil in Deutschland gewollte Energie- und Mobilitätswende, fehlt es an klaren Konzepten. In anderen Städten wird bei der Quartiersaufstellung deutlich zukunftsorientierter und klimafreundlicher agiert. Die Weststadt ist da eher schwach auf der Brust.

Energie- und Mobilitätswende? Bisher kaum Projekte

Auf die Fragen nach Mobilitätshubs (das sind Ausleihstationen mit E-Bikes, E-Mopeds, E-Scooter oder auch E-Kfz), Paketstationen, die den Zulieferverkehr im Quartier reduzieren oder Co-Working-Angeboten hieß es aus der Verwaltung: „Grundsätzlich stehen wir vielen dieser Ideen positiv gegenüber.“ Bei öffentlichen E-Ladestationen sei man derzeit in Gesprächen. Inwieweit die neu verlegten Infrastrukturnetze neben schnellem Internet auch für den massiven Ausbau privater E-Auto-Ladekapazitäten ausgerichtet sind – nichts Genaues weiß man.

Und was passiert mit Blick auf die Klimawende? Gibt es Konzepte für nicht-fossile Wärme- und Energieversorgungsnetze? Wie steht es um Mieterstrommodelle mit Photovoltaik? Was wird mit Blick auf versiegelte Flächen und Umgang mit Wasser konzeptionell anders als in der Vergangenheit gemacht? Die Antwort aus dem Rathaus: „Auch eine klimafreundliche Energieversorgung steht auf der Agenda und wird wie die Barrierefreiheit von der Städtebauförderung als ein Programmziel gefördert. Das Thema Schwammstadt gehört ebenfalls zu dieser Thematik.“ Allgemeiner hätte auch diese Antwort kaum ausfallen können. Es bleibt abzuwarten, was hier überhaupt noch angepackt wird. Der neue Stadtbaurat Rainer Kleylein-Klein hat ja klare Vorstellungen, wie (s)eine moderne, klimafreundliche Stadt aussieht. Bei der Weststadt wären zumindest die finanziellen Voraussetzungen nicht die schlechtesten…

Ausgleichsbeiträge: Das große Fragezeichen

Auch ein weiterer Punkt, der vor 20 Jahren die Oststadt-Sanierung fast zu Fall gebracht hätte, wird noch zu klären sein: Wieviel kostet die Grundstückseigentümer das Projekt? Bei der Oststadt wurde der Betrag sehr frühzeitig festgelegt und mit Obergrenzen versehen. Bei der Weststadt wird es noch etwas dauern, bis die Bürger wissen, wie sie zur Kasse gebeten werden. Die Stadt schreibt, dass die Ausgleichsbeiträge anders als in der Oststadt erst nach Abschluss des Projektes 2031 exakt ermittelt werden können. Immerhin soll ein Gutachterausschuss so bald als möglich beauftragt werden, eine vorläufige Ermittlung vorzunehmen. Es bleibt also in vielfacher Hinsicht spannend, wie sich das „Großprojekt Weststadt“ weiter entwickelt.

Lesen Sie dazu auch „Moderne Infrastruktur und soziale Angebote, aber wenig Mobilitäts- und Klimaakzente“.

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Holger HartwigDIE KOLUMNE – Soziale Weststadt: Entwicklung ohne Zukunftsthemen