Die Radarfalle

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Manchmal ist die Trennung zwischen dienstlichen und privaten Dingen auch für einen Redakteur nicht so einfach. Normalerweise soll das ja nicht so sein, das lernt jeder freie Mitarbeiter bereits bei seinen allerersten Texten. Und dennoch passiert es, dass die dienstlichen Möglichkeiten mit dem Privaten – vorsichtig ausgedrückt – vernetzt werden.

Es ist das Jahr 1994. Die Straßen in Dresden sind noch holprig und die Stadt an der Elbe kennt Staus durchaus. Wieder einmal komme ich zu spät los aus der Redaktion in der Innenstadt zu meinem Termin im Stadtteil „Weißer Hirsch“. Zu spät kommen? Besser nicht, es ist ja ein wichtiger Termin und man wird nicht auf mich warten. Also kalkuliertes Risiko, was die Geschwindigkeit betrifft. Es geht über die breite Straße (zwei Spuren in eine Richtung) raus aus der Stadt. Und dann – kurzes, rotes Licht. Mist. So um die 65 zeigt das Tachometer an. Sofort denke ich: „Sch… Aber komisch. Kann doch nicht sein. Hat Dich dort nicht soeben die Straßenbahn auf der linken Seite überholt?“. Also Glück gehabt, denke ich. Dann wird es wohl die Straßenbahn „erwischt“ haben.

Der Termin vergeht – ich kam doch zu spät – und mir lässt das keine Ruhe. Von einer Straßenbahn, deren Fahrer wegen zu schnellen Fahrens geblitzt und verwarnt wurde, habe ich noch nie etwas gehört oder gelesen. Also entscheide ich mich für einen Anruf in der Pressestelle der Dresdner Polizei. Sie ist in dieser Zeit (noch) zuständig für die Geschwindigkeitskontrollen in der Elbmetropole. Natürlich verschweige ich, dass es um mich persönlich geht…

Frage an die Polizei: „Sagen Sie mal, wenn Sie Geschwindigkeitskontrollen machen, kontrollieren Sie dann auch das Tempo einer Straßenbahn?“ Der Polizist ist etwas verwirrt ob der Frage und will wissen, wie ich das meine. Ich erzähle von einem Leser, der sich gemeldet hat und von seiner – mir doch so sehr bekannten – Situation im Stadtverkehr berichtet hat. „Der Leser…“, das geht ja immer. Der Polizist ist ehrlich: „Das ist etwas kurios. Das weiß ich nicht. Aber grundsätzlich ist die Bahn ein Verkehrsteilnehmer, also muss sich der Fahrer auch an die zulässige Höchstgeschwindigkeit halten“. Er wolle sich mal erkundigen.

Es dauert einige Tage, bis er sich wieder meldet. Intern, so sagt er, habe man etwas recherchieren müssen. Das Ergebnis: Ja, Straßenbahnfahrer müssen sich an Tempolimits halten. Allerdings nur, wenn die Gleise der Bahn in die Straße verlegt seien. Sind die Gleise in einem eigenständigen Gleisbett verlegt, gilt das Tempolimit nicht. Also der Blick auf die Straße meiner „Verkehrswidrigkeit“. Dort liegen die Gleise auf der Straße. Also nachgefragt: Wenn die Polizei also das Tempo auf einer solchen Straße misst, wird dann auch die Straßenbahn miterfasst und ggf. geblitzt? Antwort: Ja. Ob es schon einmal ein Verwarn- oder Bußgeld gegen einen Straßenbahnfahrer gegeben hat? Der Polizist erkundigt sich. Ergebnis: Nein, bisher sei das nicht gemacht worden. Er habe aber in den Strukturen des Hauses entsprechend nachgefragt und künftig sei es selbstverständlich – damit alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt behandelt werden -, dass auch Straßenbahnen geblitzt werden.

In der nächsten Ausgabe der Zeitung schreibe ich kurzerhand einen Bericht über das Thema. Titel: Dresdner Polizei blitzt Straßenbahnen. Resonanzen von den Lesern gibt es wenig – aber dafür von einer Freundin aus Hannover einige Tage später. Sie weiß, dass ich in Dresden beim „Dresdner Kurier“ arbeite und hat in der Hannoveraner Tageszeitung eine Meldung gelesen. Die Deutsche Presse Agentur (dpa) hatte das Thema aufgegriffen und an die Zeitungen deutschlandweit verteilt mit dem Hinweis „wie der Dresdner Kurier berichtet“. Hätte ich nicht gedacht, dass diese kleine Meldung es zu bundesweitem „Ruhm“ schafft.

Ach ja, profitiert habe ich vom journalistischen Ansatz nicht. Das Knöllchen kommt einige Wochen später trotzdem und wird bezahlt. Aber die damals 20 DM für diese besondere Geschichte, auf die ich sonst wohl niemals gekommen wäre, sind es wert gewesen…

Foto: Wikipedia (Fotograf: H. Mühlpfordt)


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    Holger HartwigDie Radarfalle