„Gerichte zu langsam? Das wirkt so – im Rechtsstaat ist vieles komplizierter“

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„Auf einen Tee mit …“ – Heute Dr. Stefan von der Beck, Leiter des Amtsgerichtes in Leer

LEER Pro Jahr werden unter seiner Führung etwa 10.000 Entscheidungen verantwortet: Dr. Stefan von der Beck. Er leitet seit April 2021 das Amtsgerichtes in Leer. In unserer Rubrik „Auf einen Tee mit …“ spricht der 58-Jährige, der seit vielen Jahren in Rhauderfehn lebt, unter anderem über seinen Wechsel nach Leer aus der Aufgabe als Staatssekretär im Justizministerium in Hannover heraus, über Arbeitstempo an Gerichten, über anstehende Umbaumaßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit des Gerichtes in der Leeraner Altstadt und er verrät sein Lebensmotto, seinen Lieblingsplatz in Leer und was ihn aufregt bzw. freut.

An der Justiz fasziniert mich…

… die Möglichkeit, einen wichtigen Beitrag für die Gerechtigkeit in dieser Welt zu leisten.

Wenn jemand sagt „Bei Gerichten dauert alles ewig – die sind so langsam“, dann sage ich…

… das kann schon passieren, bedarf aber jeweils einer differenzierten Betrachtung. In der Tat sind Gerichte manchmal in der Außenwirkung eher langsam, aber vieles im Rechtstaats ist etwas komplizierter. In Leer sind wir meiner Ansicht nach sehr effektiv. Die Qualität, die Zusammenarbeit und die Ausstattung stimmen.

Ein Urteil zu treffen, ist…

… immer wieder eine Herausforderung, weil man natürlich in jedem Fall den betroffenen Menschen gerecht werden muss.

Statt eines Urteils einen Vergleich zwischen Parteien zu erzielen, ist…

… erspart dem Richter das Schreiben einer Urteilsbegründung. Allerdings können Vergleichsgespräche sehr intensiv sein und erfordern eine gute Vorbereitung. Man wird den Parteien besser gerecht, es geht meist auch zügiger und führt häufig zu einer befriedenden Lösung.

Als Güterichter ist es meine Aufgabe…

… Mediator zu sein. Es bedeutet, den Menschen in den verschiedensten Facetten gerecht zu werden. Dabei geht es meist auch um Aspekte, die in einem Rechtsstreit ansonsten nicht zwangsläufig zur Sprache kommen würden.

Der Fall vor Gericht, der mich bis heute am meisten bewegt, ist…

Eine Strafsache, in der es um gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Familienclans ging. Hier musste sich der Rechtsstaat gegenüber dem Versuch behaupten, strafrechtlich relevante Vorgänge durch familieninterne Schlichtungen zu verhindern.

Die Sicherheitsmaßnahmen bei uns im Gericht sind…

… hoffentlich bald ausreichend. Bei uns stehen Baumaßmaßnahmen an. Die Eingangssituation wird aufgearbeitet und eine Schleuse mit einem Einbahnstraßen-Prinzip eingerichtet. Auch finden regelmäßige Kontrollen statt. Dass wir an dieser Stelle so große Anstrengungen unternehmen müssen, ist bedauerlich. Allerdings stellen wir fast täglich fest, das verbotene Gegenstände in das Gericht gebracht werden. Im Interesse aller Verfahrensbeteiligten und meiner Mitarbeitenden sind diese Maßnahmen leider unverzichtbar.

Die Corona-Pandemie bedeutet für die Arbeit eines Amtsgerichtes…

… mittlerweile keine wirkliche Einschränkung mehr. Wir haben Lösungen gefunden.

Für mein Amtsgericht in Leer wünsche ich mir, dass …

… die Stimmung weiter so gut bleibt und wir weiter ein so gutes Miteinander haben. Unser Gericht mit 110 Mitarbeitenden, davon 15 Richter, hat eine ideale Größe. Es passt bei uns und ich hoffe, dass das weiterhin so bleibt. Um einmal eine Größenordnung zu nennen: Bei uns werden pro Jahr etwa 10.000 Entscheidungen in allen Bereichen getroffen.

Vom Staatsekretär in Hannover in die Leitung nach Leer zu wechseln, ist kein beruflicher Rückschritt, weil …

… es einfach ein ganz anderer Job ist. Es gibt überall Licht und Schatten.  Meine Lebensumstände waren völlig anders, ich war selten zuhause bei meiner Familie in Rhauderfehn und es ist Vieles auf der Strecke geblieben. Ich genieße es sehr, wie es jetzt ist. In meiner Vita habe ich mich immer wieder gerne neuen Aufgaben gestellt und ein Gericht hatte ich bislang noch nicht geleitet. Für mich ist es absolut kein Rückschritt. Ich genieße hier die ehrlichen menschlichen Beziehungen, die Bodenständigkeit und nicht zuletzt auch die Möglichkeit, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Die Lebensqualität ist jetzt höher und es war für mich ein Glücksfall, dass die Direktorenstelle in Leer zum richtigen Zeitpunkt neu besetzt werden musste. Das hier ist eine Position, aus der man einmal gut in den Ruhestand wechseln kann.

Mit Blick auf die Zeit als Staatssekretär vermisse ich am meisten…

… die Gestaltungsmöglichkeiten in größerer Zusammenhängen. Aber alles hat seine Zeit. Aus meiner Sicht ist es aber kein Mehr oder Weniger, sondern die Aufgabe heute ist eine andere.  Wenn überhaupt, dann fehlt mir die politische Szene. Mich in dieser zu bewegen, hat mir immer viel Freude bereitet. Jetzt aber bin ich, so wie es nun ist, sehr zufrieden.

Wenn ich an meine Zeit im Ambulanten Justizsozialdienst zurückdenke, dann…

… bin ich sehr stolz darauf, in diesem Bereich eine gewaltige Aufbauarbeit geleistet zu haben. Die Struktur der sozialen Dienste war rückständig und modernisierungsbedürftig. In dieser Zeit habe ich viele bewegende und fordernde Begegnungen gehabt, die ich nicht missen möchte.

An Leer gefällt mir am meisten…

…. das Maritime, die Altstadt, das schöne Amtsgericht, das gesamte Umfeld und die Menschen. Das alles ist ein tolles Gesamtpaket.

Für Leer wünsche ich mir, dass …

… sich das Stadtbild weiter so positiv entwickelt, wie in den vergangenen Jahren – gerade hier, rund um die Nesse.

Mein Lebensmotto ist…

Jeden Tag als eine neue Chance zu begreifen, neu mit frischem Blick starten und dabei mein Bestes zu geben.

Ich habe das letzte Mal gelogen, als…

(lacht) Wie können Sie das einen Richter fragen? Die lügen doch bekanntlich nie ;-).

Meinen letzten Strafzettel habe ich kassiert als ..

…  mit dem Auto ein ganz klein wenig zu schnell gefahren bin.

Meine Familie ist für mich

… das Allerwichtigste.

Mein Lieblingsplatz im Kreis Leer ist…

… Ditzum.

Ich kann mich so richtig aufregen über…

…  die bodenlosen Unmenschlichkeiten und Grausamkeiten, die wir in diesen Zeiten des Krieges in Europa tagtäglich erleben müssen. Das erschüttert mich seit dem 24. Februar des Jahres jeden Tag aufs Neue.

Ich kann mich so richtig freuen über, …

… meine Frau, meine Kinder und unseren Hund.

Ich kann mich richtig erholen, wenn…

… ich in der Natur bin. Das ist für mich eine unverzichtbare Kraftquelle.

Mein größter Fehler ist, dass …

…  ich mir manches zu sehr zu Herzen zu nehme.

Wenn ich einen Tag lang in meinem Leben ein anderer sein könnte, dann wäre ich gerne…

Darüber habe ich noch niemals ernsthaft nachgedacht. Ich bin glücklich und zufrieden mit meinem Leben und möchte niemand anderes sein.

Wenn ich drei Wünsche frei habe, dann…

… wünsche ich mir Frieden, Gerechtigkeit und für unsere Politik, die Fähigkeit, Missstände ehrlich zu benennen und diese dann ernsthaft anzupacken.

Leite

t seit April 2021 das Amtsgericht in Leer: Dr. Stefan von der Beck (58) aus Rhauderfehn.

 Foto: privat

Holger Hartwig„Gerichte zu langsam? Das wirkt so – im Rechtsstaat ist vieles komplizierter“