Wie stellt sich die Stadt Leer für die kommenden Jahre auf, um für interessierte Unternehmen Flächen anbieten zu können? Elf Unternehmen, die nach Recherchen von Hartwig am Sonntag in Leer investieren wollen und einen Bedarf an über 120.000 Quadratmeter Fläche hinterlegt haben, müssen sich weiter gedulden. Der Wirtschaftsausschuss vertagte im nichtöffentlichen Teil eine Empfehlung für den finalen Beschluss im Verwaltungsausschuss (VA).
=> am Textende finden Sie eine Aktualisierung: SPD stimmt zu
Nach Recherchen von Hartwig am Sonntag war es die Ratsmitglieder der SPD/Grünen, die die Zustimmung zu dem von Bürgermeisterin Beatrix Kuhl (CDU) und ihrer Verwaltung vorgelegten Konzept verweigerte. Sie sieht noch Beratungsbedarf. Das bedeutet: Das Thema muss voraussichtlich wieder in einer der nächsten Verwaltungsausschusssitzungen entschieden oder erst in einigen Monaten erneut im Wirtschaftsausschuss beraten und dann im VA beschlossen werden,
Im Februar hatte HARTWIG am SONNTAG (hier geht’s zu dem Bericht) das Thema aufgegriffen und aufgezeigt, dass die Stadt derzeit bei der Ansiedlung von Unternehmen aufgrund fehlender Flächen nahezu handlungsunfähig ist. Bürgermeisterin Beatrix Kuhl (CDU) kündigte seinerzeit für Mai einen neuen Anlauf für den letztmals 2016 durch die Politik abgelehnten Ausbau des 12 Hektar großen Gebietes an der Autobahn (Benzstraße). Am Mittwoch wurden nun in nichtöffentlicher Sitzung zwei Modelle präsentiert.
Um deutlich zu machen, warum die Schaffung neuer Ansiedlungsmöglichkeiten von Bedeutung ist, zunächst der Überblick über die Unternehmen, die sich – so hat es die Verwaltung dem Vernehmen nach gegenüber der Politik dargestellt – ansiedeln wollen bzw. ihren Standort innerhalb der Stadt verlagern wollen:
- 11 Firmen aus unter anderem folgenden Branchen: Autohaus, Sicherheitstechnik, Tankstelle, Schausteller, Industrie-Stromversorgungssysteme, EDV-Entwicklung, Fahrradhandel, Neue Energie, Handwerk
- Flächenbedarf gesamt: über 120.000 Quadratmeter (damit wäre das gesamte Areal bereits „vergeben“)
- neue Arbeitsplätze: 400 (geschätzt)
Modell 1: Entwicklung der Fläche durch die Stadt
Vorschlag 1 der Verwaltung sieht vor, dass die Kommune die Erschließung mit Fördermitteln selbst vornimmt. Bereits 2016 gab es diese Überlegung, die politisch aufgrund der geschätzten Kosten pro Quadratmeter von gut 155 Euro nicht umgesetzt wurde, weil keine kostendeckende Vermarktung erwartet wurde.
Für die nun vorgesehene Umsetzung in den nächsten Jahren wurden die Kosten neu ermittelt und die Verwaltung hat der Politik vorgeschlagen, eine Entwicklung unter Einbindung von Fördermitteln der „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW-Förderung) vorzunehmen. Die grundsätzlichen Fördermöglichkeiten hat die Stadt vorab geprüft. Sie ist aufgrund der Rahmenparameter möglich. Das Finanzmodell der Verwaltung sieht am Ende nach HARTWIG-am-SONNTAG-Informationen folgendes vor: Insgesamt sollen für die Erschließung inklusive der Grundstückankaufskosten etwa 18 Millionen Euro bewegt. Knapp 11 Millionen Euro GRW-Förderung, knapp 5,7 Mio. Euro Einnahmen aus dem Verkauf der Grundstücke an die Firmen (für dann angestrebte 70 Euro je Quadratmeter). Dann würde die Erschließung unter Berücksichtigung zahlreicher weiterer haushaltstechnischer Faktoren nahezu ein Nullsummenspiel. Sofern sich der gewünschte Preis nicht erzielen lasse, rechnet die Stadt mit einem Eigenanteil von bis zu 1,4 Mio. Euro (bei reduziertem Verkaufserlös von 45 Euro je qm).
Modell 2: Interkommunale Zusammenarbeit
Hintergrund für das Modell 2 ist – wie es hieß – ein landkreisweites Gewerbeflächenentwicklungskonzept, das der Kreis Leer bis Ende 2021 beschließen will. Auf dieser Grundlage könnte das neue Gewerbegebiet zu einem interkommunalen Projekt mit einer noch höheren Förderquote als bei Modell 1 werden. Ähnliche Projekte mit diesem interkommunalen Ansatz sind der Gewerbepark Rheiderland oder das Industriegebiet Leer-Nord. Gegen diese Lösung führte die Verwaltung als Argumente u.a. an, dass die Zusammenarbeit einen Verzicht auf eigene Gestaltungsspielräume bedeute und vor allem, dass diese Lösung mehr Zeit koste und erst ab voraussichtlich 2023 starten könnte. Dieses sei schwierig, weil – wie dargestellt – ein akuter Bedarf an Flächen besteht.
Keine Entscheidung über Vorschlag der Verwaltung
Die Verwaltung hat den Fraktionen im Rat vorgeschlagen, Modell 1 umzusetzen und darum gebeten, die Mittel für die Ausschreibung und Planung des Gebietes (etwa 220.000 Euro) freigegeben zu bekommen, um bis zum Jahresende 2021 nach einer europaweiten Ausschreibung die tatsächlichen Kosten ermittelt zu haben und die Fördermittelanträge vorbereiten zu können Gleichzeitig machte die Verwaltung deutlich, dass aus ihrer Sicht eine Anbindung des Flugplatzes an das erweiterte Gewerbegebiet derzeit keine Option ist. Nach einer erneuten politischen Willensbildung sollten dann – so der Plan – die Anträge gestellt werden und bis Ende 2024 das Vorhaben abgewickelt sein. Die Verwaltung stellte fest, dass die Entwicklung mit dem Modell 1 auch finanzwirtschaftlich für die Stadt ein Projekt sei, das wirtschaftlich sinnvoll ist.
Kurzum: Die Politik hat mit den Stimmen von SPD/Grünen die Entscheidung vertagt – trotz des dargestellten akuten Bedarfs seitens der elf Unternehmen. Damit bleibt der Beschluss von 2016, dass nichts passiert, erst einmal erhalten. Wie und ob es weitergeht, werden die nächsten Wochen zeigen.
+++ AKTUELLE ENTWICKLUNG +++ DIENTAG, 11. Mai 2021:
SPD-Fraktion: Planung für Gewerbegebiet Benzstraße wird zugestimmt – Schmidt: „Kein Zeitverzug“
DER KOMMENTAR (9. Mai 2021)
Zeitspiel?
Seit Jahren hat die Stadt Leer das bekannte Problem, dass es an ausreichend Gewerbefläche mangelt. Seit langem wird nach Lösungen gesucht. Dann macht sich die Verwaltung auf den Weg und präsentiert einen Weg, der die Stadt für die Planung erst einmal etwa nur 220.000 Euro kostet. Eine Planung, die akuten Bedarf aus der Wirtschaft bedient. Eine Planung, die fast zu Null-Kosten für die Stadt eine Millionen-Investition mit Arbeitsplätzen und Steuern nach sich zieht. Und was machen Teile der Politik (offiziell bestätigt ja keiner, dass es die SPD/Grünen waren – es war ja nichtöffentlich)? Sie sehen Beratungsbedarf. Muss man das verstehen? Nein. Bei so einem nachhaltigen Thema, bei dem Fakten und Zahlen auf dem Tisch liegen, muss man von Fraktionen erwarten können, dass sie sich vorbereiten und eine Meinung bilden.
Oder steckt etwas anderes dahinter? Ein solcher unsäglicher Vertagungsbeschluss lässt Zeit ins Land gehen. Zeit, die eh schon knapp ist, weil Firmen nicht unendlich Geduld haben. Was könnte also dahinter stecken? Bis zur Wahl im September ist es nicht mehr weit. Da ist es – einfach gesagt – blöd, wenn noch etwas angeschoben wird, das der Bürgermeisterin Kuhl (die man ja nicht mehr will bzw. nie wollte) positiv zugeordnet werden könnte. Das könnte ja Kuhl Stimmen bringen. Dann lieber jetzt nicht mehr machen, auf ein gutes Wahlergebnis hoffen, und das von der Verwaltung erarbeitete Konzept wieder aus der Schublade holen. Aber bestimmt ist das gar kein Zeitspiel oder gar eine Blockadehaltung, sondern nach fünf Jahren Stillstand in der Frage der Gewerbeflächen kommen diese Politiker nun bald mit viel besseren, innovativeren und auch preiswerteren Lösungen um die Ecke. Schließlich arbeiten im Rathaus ja nur – Entschuldigung – „Knalltüten“, die seit Jahren ihren Job nicht beherrschen und für die Ratsmitglieder ja reihenweise desaströse Beschlussvorlagen erarbeitet haben…
Leider ist es so, dass sich in Leern (und nicht nur da) seit vielen Jahren in der Kommunalpolitik und auch in der Spitze der Verwaltung – wie auf den großen Bühnen in Hannover und Berlin – immer wieder viel zu viel um Macht, Parteitaktik, Eitelkeiten und persönliche Animositäten dreht. Kaum jemand in der Stadt, der – in welcher Form auch immer – außerhalb der Politik Verantwortung trägt, schüttelt nicht den Kopf, wenn er auf die Stadtpolitik angesprochen wird. Dabei erwarten die Menschen der Stadt doch am Ende nur eines von ihren gewählten Vertretern: den Einsatz des gesunden Menschenverstands und einen parteiübergreifenden fairen, ziel- und lösungsorientierten Wettstreit mit kreativen Ideen und Konzepten. Aber auf jeden Fall kein Zeitspiel oder eine Blockadehaltung. (HH)
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