LEER Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Die Kosten für die Sanierung der Leeraner Seeschleuse sind explodiert. Gingen erste verwaltungsinterne Schätzungen von etwas über 855.000 Euro aus, werden es nun nach Fertigstellung etwa 1,9 Millionen Euro sein. Die Politiker der Stadt toben über die Fraktionsgrenzen hinweg. Sie sehen die Schuld bei dem Ingenieurbüro und fordern in Teilen Regress in Richtung der Experten aus Hannover.
Was ist passiert? Als die Politik die Sanierung vor vielen Monaten beschloss, waren die 855.000 Euro eine grobe Schätzung. Dann machte sich das Hannoveraner Ingenieurbüro grbv an die Planung, prüfte Unterlagen, ließ das Bauwerk untersuchen und schrieb aus. Ergebnis: Die Kosten stiegen um 450.000 Euro, weil die erforderlichen Maßnahmen größer ausfielen (plus 300.000 Euro) und die Baufachfirmen 150.000 Euro mehr für die Ausführung der Arbeiten – allein aus pandemiebedingten Preiserhöhungen für Stahl und Bohrarbeiten – verlangten. Die Arbeiten begannen – und dabei wurden zweimal „Probleme“ festgestellt, die einen weiteren Sanierungsbedarf von erst 300.000 und dann 200.000 Euro erforderten.
Was sagt das Ingenieurbüro dazu? Jeannette Ebers-Ernst, geschäftsführende Gesellschafterin der grbv Ingenieure im Bauwesen: „Bei Sanierungen gibt es immer die Situation, dass sie nach der Aufnahme der Arbeiten feststellen, dass die Voruntersuchungen und Planungen Restrisiken haben und mehr gemacht werden muss, als vorher zu ermitteln war.“ Im Falle der Seeschleuse müsse berücksichtig werden, dass „an diesem Bauwerk seit der Ersterrichtung immer mal wieder etwas gemacht wurde und wir von Seiten der Stadt keine durchgängigen und vollständigen Dokumentationen vorliegen hatten“. So ist vor etwa 40 Jahren beispielsweise eine Verbreiterung und eine Versetzung von Spundwänden vorgenommen worden.
Es sei beim Wasserbau nicht möglich, alle Eventualitäten vorweg durch Sichtung der Pläne und durch die Untersuchungen mit Tauchern vor Ort zu erkennen. „Das ist ein bisschen wie beim Tunnelbau: Vor der Hacke ist es dunkel. In Leer sind es vor allem Hohlräume, Hindernisse und Herausforderungen des Baugrundes, die auch auf die Umbauten zurückzuführen sein könnten und zu den Mehrkosten führen.“ Die Ingenieurin erläutert dazu: „Die extremen Randbedingungen unter Wasser mit bis zu 3,5 Meter festem Schlick, keiner Sicht, sondern nur Tasten, sind ziemlich einzigartig und wurden im Hinblick auf die Ausführung der Montagearbeiten sicherlich unterschätzt, da es nun mal keine Erfahrungen mit Montagearbeiten im Schlick gibt.“ Die Sanierung sei kein Projekt von der Stange und für ein solches Vorhaben gebe es keine standarisierten Bauverfahren.“Ein Randaspekt bei der Kostensteigerung sei auch, dass während der Planung und Ausschreibung „nicht absehbare und durch die Stadt vorher nicht kommunizierte Einschränkung bei den Sperrmöglichkeiten der Brücke“ berücksichtigt werden mussten. Das sorgte für Mehrkosten bis zu 100.000 Euro, weil doppelte Taucher-Mannschaften und Wochenendarbeit notwendig waren.
Die seit dem Beginn der Sanierung festgestellten zusätzlichen Maßnahmen sind „so oder so nicht zu vermeiden“. Bisherige Sanierungen der Schleuse hätten zwar viel Geld gekostet, aber technisch zu keinem dauerhaften Erfolg geführt, so Ebers-Ernst. „Vielleicht hätten wir vor Beginn noch intensiver untersuchen können, was auch wiederum Zeit und Geld gekostet hätte und auch keine absolute Sicherheit gebracht hätte. Aber: Was die dann anfallenden Sanierungskosten betrifft, hätten wir dadurch aus meiner Sicht nichts einsparen können“, so Ebers-Ernst, die mit ihrem Büro von der Planung bis zur Abrechnung der Maßnahme mit dem ausführenden Unternehmen die Verantwortung trägt. Das Büro Bremenports aus Bremerhaven, das in dem Zusammenhang mit der Schleusensanierung genannt werde, werde ausschließlich für die Projektsteuerung seitens der Stadtverwaltung eingesetzt.
Inwieweit die Kostensteigerungen, für die die Stadt im Gegensatz zu den Ursprungskosten keine Fördergelder einwerben kann, ein rechtliches Nachspiel haben könnten, ist derzeit offen. „Das werden wir abwarten. Wir projektieren seit mehreren Jahrzehnten erfolgreich Wasserbauten und Sanierungen und sind überzeugt, dass wir unseren Verpflichtungen gerecht geworden sind“, so Ebers-Ernst. Die Entwicklung in Leer sei ärgerlich, aber mit Blick auf eine dauerhaft funktionierende Seeschleuse und den Hafenbetrieb sind die Mehrkosten für die Sanierung alternativlos. Das Ingenieurbüro habe der Politik in Leer mehrfach angeboten, die Zusammenhänge im Detail darzustellen. Dieses Angebot bestehe weiterhin, so Ebers-Ernst. Eines steht nach Worten der Ingenieurin auf jeden Fall fest: Mit der jetzt durchgeführten Maßnahme wird „erstmals eine für die Restnutzungsdauer der Schleuse funktionierende Sanierung der Schleuse umgesetzt“.
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