Sie ist die „Kirsche auf der Torte“ in der Kommunalpolitik: die alljährliche Sitzung, in der um den Haushalt und die Personalplanung debattiert wird. Wenn es ums Geld geht, lässt sich am besten streiten. Das, was in der kommenden Woche (Donnerstag, 7. März ab 17 Uhr im Leeraner Sparkassenforum) passieren wird, wird über die normale Wirkung der Zahlen und Beschlüsse hinausgehen. Wenn beschlossen wird, was auf dem Tisch liegt, ist es der Auftakt eines bisher undenkbaren Showdowns zwischen dem Landkreis und einem großen Teil der Städte und Gemeinden. Mit Gerichtsprozessen.
Es geht um die Kreisumlage und einen eskalierenden Streit. Die Bürgermeister der Kommunen hatten mehrfach das Gespräch gesucht und wollten eine niedrigere Zahlung an den Kreis erreichen. Ihre Arbeitsgemeinschaft schrieb am 16. Februar an den Landrat u. a. „(…) Die Ausgangslage für die Kommunen ist noch dramatischer. Eine Abkehr dieser sich beschleunigenden negativen Entwicklung für die kreisangehörigen Kommunen kann nur entgegengewirkt werden, wenn der Landkreis aufgrund seiner überproportional großen finanziellen Stärke auch ein entsprechend starkes Signal bei der Entlastung der Kommunen setzt“.
Das Kreishaus hat nun auf den Vorstoß – öffentlich einsehbar – geantwortet. Zahlen, Daten, Fakten. Da wird viel auf den Tisch gelegt, was es so nur selten zu lesen gibt. So gibt es beispielsweise eine Schuldenstatistik aller Kommunen im Kreisgebiet. Demnach haben die Städte und Gemeinden im Schnitt Kreditverpflichtungen von knapp 6,9 Mio. Euro. Insgesamt sind es 144 Mio. Euro Verbindlichkeiten. Seit 2017 ist das ein Anstieg um 40 Mio. Euro – allein die Hälfte davon bei der Stadt Leer. Viele Worte, eine seitenlange Abwägung mit klarer Botschaft: Die Forderung einer niedrigeren Kreisumlage ist unbegründet, das Vorgehen des Kreises ist berechtigt und rechtlich auch in jeder Hinsicht zulässig. Zitat: „Es lässt sich nicht ableiten, dass die Höhe der Kreisumlage von 52 Punkten geeignet ist, die finanzielle Mindestausstattung der kreisangehörigen Kommunen zu gefährden (…) die Berücksichtigung der Gleichwertigkeit der beidseitigen finanziellen Interessen ist erfüllt (…) der Landkreis stellt seine finanziellen Interessen nicht über die seiner kreisangehörigen Kommunen.“ In den vergangenen Jahren sei es den kreisangehörigen Kommunen in Gänze gelungen, den Stand der Rücklagen stetig zu steigern und jeweils ein kumuliertes positives Jahresergebnis zu erzielen.
Dann folgt in der Abwägung aller Argumente ein – bemerkenswerter und wohl bisher einzigartiger – Frontalangriff auf die Arbeit und Vorgehensweise aller Bürgermeister. Zitat der öffentlichen Vorlage: „Im Schreiben (vom 16.2.24) sind keinerlei konkreten Aussagen zur finanziellen Situation gemacht. Es wurden einzelne abstrakte Feststellungen getroffen, ohne das ein faktenbasierter Beleg erfolgt ist.“ Das bedeutet im Klartext: Ihr versteht Eure Arbeit nicht. Ihr versucht uns zu täuschen und agiert opportunistisch. Rumms. Das sitzt.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Das, was der Verantwortliche im Kreishaus, André Willems, mit seinem Team ausgearbeitet hat, ist handwerklich richtig gut gemacht. Es ist eine Zusammenfassung der Finanzlage des Kreises und der Gemeinden, die Substanz hat. Allerdings ist zu berücksichtigen: Zahlen und die daraus abgeleiteten Zusammenhänge können niemals „neutral“ sein. Es ist halt die Aufgabe Willems, die Unterlagen so aufzuarbeiten, dass sie in die Strategie seines Vorgesetzten Groote hineinpasst.
Was das nun alles bedeutet? Die Fronten zwischen dem Landrat und den Bürgermeistern und Gemeinderäten sind ob der – nun vom Kreis öffentlich nachlesbaren – Argumente beider Seiten geklärt. Beide fühlen ich „im Recht“. Es ist unwahrscheinlich, dass eine dieser Seiten „zurückziehen“ wird.
Diese totale Konfrontation könnte nur noch der Kreistag mit einem Kompromissvorschlag beenden. Ob der kommt? Die Sozialdemokraten und ihre politischen Partner müssen sich entscheiden, ob sie den direkten Konflikt mit ihren Bürgermeistern in den Heimatgemeinden wirklich wollen. Erste Gespräche für einen Kompromiss – dann eine Kreisumlage mit um die 50 statt 52 Prozent – laufen hinter den Kulissen. Eine Klausurtagung der SPD an diesem Wochenende nimmt sich des Themas an. Man darf sehr gespannt sein.
Klar ist: Präsentiert die SPD am Donnerstag einen Kompromiss, könnte es dazu führen, dass gerade noch die Kurve gekriegt wird und dem Kreis Klagen, wie sie die Stadt Leer zwischenzeitlich eingereicht hat, erspart bleiben. Klar ist dann auch: Für den Landrat wäre es – sehr vorsichtig formuliert – eine dicke Ohrfeige. Oder gar – weil seine SPD ihn und seine Arbeitsleistung bei so einem zentralen Thema erst kurz vor Tore Schluss ausbremsen würde – der Anfang vom Ende für ihn in seinem Amt?
Groote hat wirklich alle Warnsignale aus den Kommunen – auch von Teilen „seiner“ SPD – ignoriert. Er riskiert mit der Beschlussvorlage bewusst das Ende der Solidarität im Kreis Leer. Dabei hätte er aus seiner Position eine verträgliche Lösung moderieren können. Zeit dafür war genug. Er scheint jedoch unfähig dazu. Vielleicht, weil ihm dafür das nötige Gespür, die Bereitschaft oder gar das erforderliche Handwerkszeug fehlen?
Eines ist auch klar: Das, was im Kreis Leer in den letzten Jahren passiert, hat insgesamt viel von „Mir ist das Hemd näher als die Hose“. Dabei sollen doch alle Verantwortlichen für das Wohl der Bürger in der Region sorgen. Denen ist es nämlich „piepegal“, wer was wie finanziert und wer welche Schulden hat oder nicht. Sie zahlen Steuern. Sie erwarten, dass gemeinsam gedacht und verantwortungsvoll agiert wird und mit sinnvoller Geldverwendung alle Lebensbereiche optimal gestaltet werden. Mal sehen, ob der Kreistag bzw. die SPD als größte Fraktion noch die Kurve kriegen. Gelingt es – am besten überparteilich – wieder zusammen zu bringen, was im Verständnis der Bürger zusammengehört? Besser heute als morgen.