Sprache wird zu Musik und Musik zu Sprache

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7. Konzert des Vereins Junger Kaufleute in der Saison 2022/23 – Pianistin Sophie Pacini zu Gast in Leer

Von Barbara Fischer*

LEE Lärm oder Musik? Schaurig oder über die Massen schön? Wüstes Toben oder edle Erhabenheit? An Franz Liszt schieden sich die Meinungen schon unter seinen Zeitgenossen, insbesondere in der Beurteilung seiner Sonate h-Moll für Klavier. Die Pianistin Sophie Pacini erläuterte  in der Leeraner Blinke bei ihrem Konzert des Vereins junger Kaufleute (VJK), warum sie in diesem Riesenwerk inhaltlich und musikalisch Goethes „Faust“ wiederfindet.

Sicher gäbe es, wie so oft in der Kunst, andere Deutungsmöglichkeiten; diese aber waren nicht nur schlüssig nachvollziehbar, sondern dem Hörer auch eine gute Stütze, sich in dem knapp dreiviertelstündigem Opus zurechtzufinden. Die anderen, kürzeren Kompositionen des Abends von Chopin und Skrjabin (Préludes, Nocturne, Étüdes, Scherzo) hätten sich durch die Musik wohl weitestgehend selbst erklärt, doch auch zu diesen gab Pacini einiges Erhellendes mit auf den Weg. Allein ihrem geschliffenen Sprachstil zu lauschen war ein Vergnügen; die Einblicke in tonartliche Zusammenhänge und stilistische Verwandtschaften bei der Konzeption des Programmes verstärkten den Eindruck eines überaus klugen Umganges mit ihrem Metier. Denn sie findet in ihrer pianistischen Handschrift zu Synonymen ihrer Sprache: Sprache wird zu Musik und Musik zu Sprache. Beide sind emotional, sehr persönlich und poetisch geprägt, getragen von einem starken Bewusstsein, das Wissen mit Leidenschaft verbindet, ohne verkopft oder schwärmerisch zu sein.

So beeindrucken ihre Interpretationen durch ebensoviel Temperament wie Klarheit. Sie arbeitet wichtige „Stimmen“ klar heraus und stellt deren Aussage in den Vordergrund. Diese „sprechende Musik“ ist plastisch und gut verständlich, strukturiert und dennoch von warmer Lebendigkeit. Die Bewunderung für die mühelose Bewältigung der hohen Anforderungen an die Handwerklichkeit wie etwa in Chopins Ballade Nr. 1 g-Moll sowie der mentalen Durchhaltekraft waren der Künstlerin gewiss; mindestens ebenso gebannt war man von ihrer Fähigkeit, Musik spannend durch Hände und Sprache Gestalt annehmen zu lassen. „Lärm“ und „wüstes Toben“ bekamen einen Sinn, das „Schaurige“ verlor durch Wissen seinen Schrecken, der „edlen Erhabenheit“ wurde sensible Vernunft an die Seite gestellt. Und die Schönheit? Manche Passage in den Werken war sicher nicht als „schön“ zu bezeichnen; doch pianististische Delikatesse kleidete auch die schroffen Klänge in ein zumindest ansprechendes und charaktervolles Gewand.

Eine Zugabe sei eigentlich weder möglich und nötig, meinte Pacini selbst, doch die verinnerlichte Bearbeitung von Händels „Lascia ch’io pianga“ bekam durch die besondere Ankündigung ihren berechtigten Platz.

Foto: Fabian Engel/VJK

* Hinweis: Diese Konzertkritik wird auf Hartwig am Sonntag veröffentlicht in Kooperation mit dem Verein Junger Kaufleute. Informationen zu dem Verein und zum Programm der Saison 2022/2023 unter www.vjk-leer.de

Holger HartwigSprache wird zu Musik und Musik zu Sprache