„Standort der ehemaligen Synagoge ist ein Schandfleck für Leer, der weh tut“

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„Auf einen Tee mit …“ – Heute mit Susanne Bracht, wissenschaftliche Leiterin der Ehemaligen Jüdischen Schule in Leer

LEER Immer donnerstags bis sonntags zwischen 14 und 18 Uhr gibt es in Leer einen besonderen Anlaufpunkt für Menschen, die sich für die Geschichte in der Region interessieren. Zwischenzeitlich als Tierarztpraxis genutzt, ist die Ehemalige Jüdische Schule in der Leeraner Ubbo-Emmius-Straße 12 seit einigen Jahren zu einer Gedenk- und Begegnungsstätte für jüdisches Leben in der Kreisstadt geworden. Geleitet wird das Haus, das in der Trägerschaft des Kreises ist, von Susanne Bracht. In der Rubrik „Auf einen Tee mit…“ spricht die 39-Jährige studierte Judaisten und Religionswissenschaftlerin über den Sinn ihrer Arbeit, die Begegnung mit Zeitzeugen und Nachfahren, über einen Schandfleck, Stolpersteine, die Sammlung des Weeneraners Fritz Wessels und erklärt, warum ihr der freie Blick in den Himmel viel bedeutet.

Das Gedenken an die jüdische Bevölkerung aus dem Kreis Leer ist aus meiner Sicht…

…notwendig, weil man damit die gesellschaftspolitische Gegenwart besser verstehen und einordnen kann.

 Wenn in der Region ein Stolperstein verlegt wird, dann…

… finde ich das sehr gut. Die Stolpersteine haben in Leer das Erinnern neu thematisiert und zu neuen Kontakten zu Nachfahren geführt. Diese sind sehr wichtig und machen die Veranstaltungen zum Verlegen der Steine besonders und mahnend zugleich.

 Ein außerschulischer Lernort zu sein, ist…

… große Aufgabe. Unsere Angebote werden immer stärker angenommen. Unser Ziel ist es, noch viel mehr Schulen aus dem Kreisgebiet für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Wir wollen und werden den direkten Kontakt noch stärker suchen.

 Mein bewegenster Moment in dieser Gedenkstätte ist…

… immer der Kontakt mit Nachfahren, wenn ich erlebe, was es mit ihnen macht, wenn sie hier bei uns erleben, wie wir die Erinnerungen an ihre Familie wachhalten. Das ist sehr berührend und sinnstiftend. Und natürlich die vielen Begegnungen mit Albrecht Weinberg. Er ist ein großes Geschenk für die Arbeit und auch für mich persönlich.

 Wer die Gedenkstätte noch nicht besucht hat, der sollte…

… auf jeden Fall bald kommen. Es lohnt sich, unser Haus zu entdecken. Wir bieten ein abwechslungsreiches Programm mit vielen Veranstaltungen von Musik, über Lesungen bis hin zu Sonderausstellungen. Für jede Altersgruppe ist – und das zumeist kostenfrei – etwas dabei.

 Mit unserer Poster-Ausstellung Gesichter und Geschichten des Jüdischen Lebens in Deutschland gelingt es…

… den Übergang zu schaffen von der Vergangenheit in die Aktualität. Die Ausstellung thematisiert bspw. Moses Mendelssohn aus der Zeit der Aufklärung als Übersetzer der Bibel und den aktuellen Rapper Ben Salomon, der den Antisemitismus in der Rap-Szene anprangert.

 Zeitzeugengespräche sind für unser Haus…

elementar, weil sie weil sie nahbar und persönlich festhalten, was Menschen erlebt haben. Es ist auf eine einmalige Weise möglich, sich den Biografien anzunähern. Die Gespräche geben uns die Möglichkeit, vieles zu erfassen und zu dokumentieren, was so bald nicht mehr möglich sein wird.

Die Hebräisch-Kurse werden…

… von Pastor Ingo Brookmann angeboten und sind spannend. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Hebräisch lernen und anwenden Spaß macht und der Schlüssel für die Kultur ist.

 Die Privatsammlung von Fritz Wessels ist für unser Haus…

ein Teil unserer Sammlung. Wir haben viele Sachen übergeben bekommen. Fritz Wessels war ein Motor für die Gedenkarbeit, vor allem in Weener. Ich freue mich, dass es zukünftig in Weener auch eine Ausstellung geben soll, die bestimmt auch Objekte aus dem Nachlass beinhalten wird. Fritz Wessels Wunsch war es immer, dass es in Weener einen Ort des Gedenkens und eine Ausstellung gibt. Es würde sich ein Kreis schließen, so wie er sich auch mi der Verlegung von Stolpersteinen nach seinem Tod geschlossen hat.

 Wenn ich für unsere Gedenk- und Begegnungsstätte 100.000 Euro geschenkt bekommen würde, dann…

… (schmunzelt) würde ich mir überlegen, wie wir die Zusammenarbeit mit den Schulen weiter ausbauen können, damit noch mehr junge Menschen zu uns kommen und unser Haus so zu einer Brücke zwischen Aktualität und Vergangenheit wird. Ebenfalls würden neue Sonderausstellungen auf dem Plan stehen, die realisiert werden.

 Das Aufleben des Antisemitismus stellt die Menschen im Kreis Leer…

… vor eine große und wichtige Aufgabe. Wir müssen gemeinsam alles tun, dieser Entwicklung entgegenzusteuern. Das beginnt im Alltag ganz konkret bei den kleinsten Übergriffen. Jeder hat die Verantwortung in seinem Umfeld darauf zu achten, dass es ein diskriminierungsfreier Raum ist bzw. bleibt. Wichtig ist, dass vor allem an den Schulen viel stärker auf diese Thematik eingegangen wird und die Verantwortung deutlich wird, die jeder in jeder Lebenssituation in dieser Hinsicht hat.

Wenn ich an die jahrelange Situation des Grundstückes, auf dem die Synagoge in Leer stand, denke, dann…

… stelle ich wie viele Leeraner fest: das ist ein Schandfleck. Es ist traurig, dass sich dort seit Jahrzehnten schlussendlich nichts bewegt hat. Mich schmerzt es, wenn ich erlebe, das Nachfahren der Juden, die diese Synagoge als festen Bestandteil ihres Alltags hatten, sehen, wie der Ort aussieht. Es wäre gut, wenn es bald mal einen Durchbruch bei den Planungen und Gesprächen gibt. Albrecht Weinberg ist heute 98 und er sagt immer: Ich hoffe, dass bis zu meinem 100. Geburtstag endlich etwas passiert ist.

Wenn ich mir für Leer etwas wünschen könnte, dann…

…  sicherlich, dass der gerade benannte Schandfleck zügig zu einem Ort des würdigen Gedenkens wird.

Mein Lieblingsplatz in Leer ist…

… am Deich hinter der Evenburg.

Mein größter Fehler ist …

… die Gleichzeitigkeit, d.h. ich manchmal zu viel auf einmal machen möchte

Meine Stärke ist …

… für meine Arbeit zu „brennen“, weil ich sie für zutiefst sinnvoll halte.

Mein Lebensmotto ist…

Tue das, was du machst, aus Überzeugung und authentisch.

 Meinen letzten Strafzettel habe ich kassiert als…

 …  ich keinen Parkschein hatte.

 Ich kann mich so richtig aufregen, wenn…

… Leute sich zu wichtig nehmen,

 Ich kann mich so richtig freuen über …

… wenn es bei Schülern „Aha“ macht, weil sie bei uns im Haus neue Erkenntnisse gewinnen. Viele begreifen erst bei uns die Dimensionen dessen, was damals geschehen ist.

 Ich kann so richtig entspannen kann ich, wenn…

 …  ich den Himmel schauen, weil dieser Ausblick für mich eine maximale Freiheitsdimension hat. Ich brauche immer ein Zimmer mit dem Himmelblick.

 Wenn ich einen Tag lang Bundeskanzlerin sein könnte, dann würde ich als Erstes…

… vieles unternehmen, was mit dem Thema Gerechtigkeit in allen denkbaren Bereichen zu tun hat – sei es in der Bildung, zwischen Männern und Frauen oder mit Blick auf Einkommen und Lebensverhältnisse. Ich glaube, da gibt es vieles, was besser werden muss.

Wenn ich drei Wünsche frei habe, dann wünsche ich mir, dass …

…  es mehr Fachkräfte für Kitas gibt, im persönlichen ich mehr Zeit für meine Familie habe und mit Blick auf meine Arbeit, dass die Sichtbarkeit der ehemaligen jüdischen Schule viel stärker wird.

 

Sie leitet die Gedenk- und Begegnungsstätte Ehemalige Jüdische Schule in der Leeraner Ubbo-Emmius-Straße 12: Susanne Bracht.

 

Foto: Jürgen Bambrowicz/Lk Leer

Holger Hartwig„Standort der ehemaligen Synagoge ist ein Schandfleck für Leer, der weh tut“

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