Volkshochschule Leer: Trotz steigender Teilnehmerzahlen ist die Zukunft ungewiss

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Sie ist aus dem Kreis Leer nicht wegzudenken: Seit 1945 sorgt die Volkshochschule für die Stadt und den Kreis Leer e.V. (VHS) für berufliche, kulturelle, politische, gemeinwohl- und gesundheitsorientierte Bildung. Statisch gesehen dürfte jeder Bewohner des Kreises bei ihr in seinem Leben Fähigkeiten erlernt, berufliche Qualifikationen erworben oder – was auch nicht zu unterschätzen ist – Deutsch oder das Alphabet begriffen haben. Die VHS wächst aktuell. Pro Jahr nehmen etwa 20.000 Menschen die Angebote wahr. Der Umsatz ist zuletzt um 41 Prozent angestiegen. Dennoch ist die Zukunft aktuell ungewiss.

Warum? Klar ist, dass die Leeraner VHS – wie nahezu alle anderen Einrichtungen mit ihrem Charakter deutschlandweit – ein Zuschussbetrieb ist. Die VHS leben davon, dass die Kommunen aus ihren Haushalten Fördergelder bereitstellen. Das funktioniert in Kreis Leer bisher gut. Es handelt sich jährlich etwa 250.000 Euro, die allerdings jedes Jahr neu bei den Fördergeldgebern beschlossen werden müssen. Die Herausforderung der VHS ist vor allem aktuell die Sicherstellung der Liquidität. Steigende Angebote an Sprachkursen sind für die Kasse zwar gut, aber das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und andere staatliche Stellen bezahlen die VHS-Leistungen teilweise sehr schleppend, während die VHS Mitarbeitende und Dozenten am Monatsende bezahlen muss, damit diese nicht zu anderen Arbeit- oder Auftraggebern wechseln. Die VHS benötigt also bei der Bank Kredite für Zwischenfinanzierungen, nach Möglichkeit zu guten Konditionen. Jahrzehntelang haben es der VHS-Vorsitzende Jörg Furch (seit fast 30 Jahren an der Spitze, zuvor Gemeindedirektor in Rhauderfehn) und das Team geschafft, ohne Kredite über die Runden zu kommen. Das ist jedoch angesichts gestiegener Personal- und Energiekosten so nicht mehr möglich. Also ging es darum, möglichst günstig an Geld zu kommen. Das Instrument lag nahe – eine Bürgschaft des Landkreises Leer. Dann hätte die VHS gute Konditionen bekommen. Eine solche Bürgschaft hat der Kreistag vor über 20 Jahren beschlossen, sie lag beim örtlichen Kreditinstitut auch vor. So weit, so gut, bis das Kreditinstitut feststellen musste, dass die Urkunde von einst nicht mehr vorliegt bzw. nach 10 Jahren erloschen ist. Was macht also die VHS? Sie bittet den Kreis, die Bürgschaft zu erneuern. Ein formaler Akt dachte man, da der Beschluss durch den Kreistag seinerzeit, so die Meinung der VHS, unbefristet war. Das Thema landet also im Herbst 2023 (!) auf dem Tisch der politischen Gremien. Hinter geschlossenen Türen wird getagt – diese Türen bleiben aber im Laufe der Zeit meistens nicht wirklich geschlossen. Die Chefetage des Kreishauses lehnt dem Vernehmen nach eine weitere Bürgschaft ab und sieht zudem keinen Zeitdruck für ein Handeln.  Die Ablehnung erfolgt u. a. wohl auch, weil man bei der VHS nicht ausreichend Kontrollmöglichkeiten sieht, falls dort nicht vernünftig gewirtschaftet werden sollte. Kontrolle haben zu wollen, ist unbestritten ein kluger Gedanke. Diese Denkweise wäre beispielsweise auch beim Millionengrab Seniorenzentrum Heisfelde sehr wünschenswert gewesen. Konkrete Lösungsvorschlag, die die VHS zur Überbrückung der Liquiditätslücke geholfen werden könnte, bleiben jedoch aus. Die Politik glaubt dem Landrat, auch wenn es bekannt sein dürfte ,dass das Rechnungsprüfungsamt jedes Jahr die Finanzen der VHS prüft und saubere Arbeit bescheinigt. Bei der VHS drückt weiter der Schuh und es wird nach anderen „Verbündeten“ im Kreisgebiet gesucht, die bei einer Lösung behilflich sein können.

Wie sieht die Lösung aus? Der aktuelle, durchdachte und nachvollziehbare Vorschlag zur Absicherung der VHS kommt aus dem Kreis der Hauptverwaltungsbeamten. Sie haben längst erkannt, welche Sorgen die VHS den Kommunen durch die Migrationskurse etc. – aktuell stehen 200 Menschen auf der Warteliste – abnimmt. Die Idee der Bürgermeister, die die Zustimmung in den Räten noch finden muss, ist einfach: Jede Kommune im Kreis zahlt einmalig zwei Euro pro Bürger in die Rücklage. Das ist eine überschaubare Summe, bringt für die VHS die Sicherheit, nicht mehr kurzfristig die Liquidität einzubüßen. Mit Blick auf die kommenden Jahre soll beschlossen werden, dass die Kommunen nicht mehr direkt die Defizite der VHS tragen, sondern das Geld – ca. 250.000 Euro – jährlich aus der Kreisumlage durch den Kreis gezahlt wird. Damit wäre die Existenz der VHS dauerhaft gesichert und der Kreis als einziger Finanzier auch der zentrale Ansprechpartner der VHS. Derartige Herangehensweisen sind durchaus üblich. Bleibt die berechtigte Frage, wieso der Landrat nicht vorangegangen ist. Desinteresse? Fehlender Durchblick? Fehlende Ideen? Fehlende Entschlossenheit? Persönliche Animositäten zwischen einzelnen Akteuren? Nichts davon ist im politischen Geschäft auszuschließen – selbst eine umfangreiche journalistische Recherche kommt da bisher zu keiner eindeutigen Antwort.

Zum Abschluss noch eine Einordung, um welche „hohen“ Summen es bei der VHS geht: Es geht um eine einmalige Rücklagenbildung und jährliche Zuschüsse von jeweils etwa 250.000 Euro. Diese Summe in Relation zu den Haushalten der beteiligten Kommunen – bei der Stadt Leer sind das beispielsweise etwa 100 Mio. Euro pro Jahr – und beim sogar 484 Mio. Euro, lässt einfach nur Unverständnis aufkommen, warum die VHS-Verantwortlichen keine dauerhafte Planungssicherheit durch Bürgschaft, Rücklagensteigerung oder gesicherte Fördermodelle bekommen. Deutlicher formuliert: Es geht um „Peanuts“. Verantwortungsvolle Politiker – und hier muss der Blick dann wieder auf den Chef des Kreishauses fallen, weil der Vorgang bei ihm auf dem Tisch liegt – stellen Weichen, haben Strategien und handeln zügig und verlässlich für die Bürgerinnen und Bürger. Aber Verantwortung zu leben, strategisch zu denken und schnell zu handeln – das will halt auch oder vor allem bei einem hauptamtlichen Politiker gelernt sein. Was bleibt? Die Hoffnung, dass es für die VHS nun bald eine dauerhafte Perspektive durch klares Handeln gibt. Mindestens genauso wichtig: Die Hoffnung, dass die gewählten Vertreter, die in der Lokalpolitik unterwegs sind, noch stärker den Blick auf die Qualität und Handlungsstärke ihrer hauptamtlichen Akteure ausrichten, statt auf Beliebtheitswerte oder Parteibücher zu schauen. Denn Beliebtheit ist endlich und Parteibücher lösen keine Zukunftsaufgaben.

Holger HartwigVolkshochschule Leer: Trotz steigender Teilnehmerzahlen ist die Zukunft ungewiss