Von Arbeitsverträgen

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In über 30 Jahren in der Medienbranche habe ich viel erlebt – auch wie seitens einiger Medienhäuser mit Redakteuren umgegangen wird. Darüber wird in den Medien – wen wundert´s – allerdings nie bzw. nur sehr selten berichtet. Vorweg: Alle Arbeitgeber über einen Kamm zu scheren, ist nicht fair und angebracht.

Was sich aber feststellen lässt: Das, was nach der Wende in den fünf neuen Ländern ohne Tarifverträge und weitgehend ohne Gewerkschaften vielen Mitarbeitenden – nicht nur in Verlagen – angeboten wurde, hat heute bei vielen Unternehmen deutschlandweit Einzug gehalten. Nur noch wenige (Medien)Häuser halten sich an Mantel- und Tarifverträge. Sehr viele haben Haustarifverträge nach und nach umgesetzt und damit das Gehaltsniveau in – den Redaktionen teilweise um bis zu 50 Prozent – „gedrückt“.

Meine erste Erfahrung in dieser Hinsicht ist ein Arbeitsvertrag, den ich im „wilden Osten“ unterzeichnen solle. Für ein Tochterunternehmen eines der größten Medienunternehmen Deutschlands habe ich die Redaktionsleitung einer Wochenzeitung übernommen und innerhalb kürzester Zeit eine neue Sonntagszeitung auf den Weg gebracht. Der Arbeitsvertrag ist da nicht so wichtig…

Was steht damals in dem Vertrag? Ich zitiere einmal aus einigen der Paragrafen:

§ 2 Der Einsatzort ist flexibel und wird in Absprache mit dem Verlagsleiter festgelegt. In den ersten zwei Monaten ist der Tätigkeitsort XYZ, danach die neuen Bundesländer.

§ 4 Der Verlag behält sich vor, dem Redakteur andere redaktionelle oder journalistische Aufgaben an anderen Orten und bei anderen Objekten zu übertragen, wenn dies dem Verlag erforderlich erscheint. Der Redakteur erklärt sich bereit, auf Anordnung der Verlagsleitung auch in anderen Ressorts zu arbeiten.

§ 5 (…) Der Verlagsleiter oder seine Beauftragten sind zur Änderung und Bearbeitung der Beiträge des Redakteur berechtigt, soweit diese Bearbeitung nicht den Sinn des Beitrages unzumutbar verändert.

§ 6 Der Redakteur räumt dem Verlag für alle von ihm erstellten Beiträge (Text und Bild) ein zeitlich, räumlich und sachlich unbeschränktes ausschließliches Nutzungsrecht an sämtlichen Urheber- und Leistungsrechten ein.

§ 15 Die Arbeitszeit richtet sich nach den betrieblichen Erfordernissen und wird durch die Aufgabenstellung bestimmt. Eine Vergütung von Mehrarbeit kann nicht beansprucht werden.

Im Klartext: Einsatz überall und nirgends, Aufgaben alles möglich (auch Hausmeistertätigkeit?), die wöchentliche Arbeitszeit kennt keine Obergrenze und ist mit dem Grundgehalt (es war keinesfalls üppig) abgegolten, keine Regelung zu der Anzahl der wöchentlichen Arbeitstage, kein Ausgleich, alle geistigen Rechte werden abgegeben (auch für Fotos und Texte, die im Urlaub oder in der Freizeit erstellt werden).

Unterschreiben soll ich den Vertrag, nachdem die Wochenzeitung bereits erfolgreich auf den Markt gebracht war. Ich habe dann um ein Gespräch mit dem zuständigen Geschäftsführer aus dem Westen gebeten. Wir haben fast zwei Stunden diskutiert. Wir einigen uns. Er zahlt mir das Gehalt weiter, ich unterschreibe den Vertrag nicht. Wenige Monate später bin ich dann zu einem anderen Verlag gegangen…

Warum ich das hier so detailliert beschreibe? Wie ist so etwas möglich gewesen? Ganz einfach: Die neuen Länder sind damals die „Spielwiese“ in allen Branchen, was mit Verträgen und bei der Bezahlung möglich ist. Diese Vorgehensweisen im „wilden Osten“ werden zum Vorläufer für viele Verträge, die in immer mehr Wirtschaftsbereichen dann auch im Westen zum Standard werden. Viele Arbeitgeber „lernen“: Das, was in der alten Bundesrepublik in der sozialen Marktwirtschaft selbstverständlich war – Tarifbindung durch Arbeitgeberverbände, geltende Manteltarifverträge – muss nicht zwingend so bleiben. Kurzum: Die ersten Jahre der vereinten Bundesrepublik mit einem Überangebot an Arbeitskräften haben eine langsame „Entrechtung“ der Mitarbeitenden eingeleitet – nicht nur im Osten.

Zurück zu den Medienhäusern: Heute gelten nur noch in den wenigsten Verlagen Tarifverträge. Was das bedeutet? Das Einstiegsgehalt von Redakteuren liegt heute bei oft maximal 35.000 Euro und beträgt damit in vielen Fällen nur noch die Hälfte des langjährigen Alt-Redakteurs, der noch einen Vertrag mit Tarifbezug hat. Ach ja, und dann gibt es bei den tagesaktuellen Medien mancherorts heute noch die so genannten Tagespauschalisten, die sich selbst versichern müssen etc. Ohne in die Details zu gehen, was das Thema Scheinselbstständigkeit betrifft und ohne genaue Zahlen zu nennen: Diese Pauschalsten bekommen pro Tag aufgrund der Stundenzahl (selten ein Acht-Stunden-Tage) teilweise unter Mindestlohn. Wer nicht unterschreibt, der kann sich ja woanders einen Auftraggeber suchen…

Gut erinnern kann ich mich auch noch an eine Betriebsversammlung in einem Medienhaus. Die Zeiten schienen schwieriger zu sein (wie die betriebswirtschaftliche Lage eines Medienhauses wirklich ist, ist schwer zu erfahren, da fast alle als GmbH & Co. KG organisiert und damit nicht veröffentlichungspflichtig sind – früher waren die Renditen bis zu 40 Prozent, heute teilweise „nur“ noch bis zu 20 Prozent, wenn dann mal Zahlen bekannt werden) und alle Mitarbeiter sollten jede 10. Stunde ohne Bezahlung arbeiten. Das solle der Anteil an der Mitarbeitenden sein, um auf Dauer die Arbeitsplätze zu erhalten. Als Begründung für diesen Schritt wird damals neben Konjunktur- und damit Umsatzschwäche unter anderem angeführt, dass das Unternehmen mit vielen Millionen Euro modernisiert werden müsse. Natürlich schweigen fast alle Mitarbeiter – bis auf einen Redakteur, der im Betriebsrat sitzt und damit besondere Schutzrechte genießt. Er steht auf und stellt die Frage: „Wie würden wir in unserer Zeitung berichten, wenn ein anderes Unternehmen so mit seinen Mitarbeitern umgehen würde?“. Nach einer kurzen Pause antwortet er: „Wir würden sehr deutliche Worte finden.“ Aber über die eigene Branche wird seitens der Medien – zumeist – nicht kritisch berichtet. Eine Krähe hackt der anderen… – sie kennen den Spruch. Und Redakteure, die im System der Medienhäuser unterwegs sind, werden einen Teufel tun, wenn sie weiterhin die Chance auf einen Arbeitsplatz in der Branche behalten wollen…

Wenn mich heute ein junger Mensch fragt, ob er Redakteur werden soll, dann muss ich lange überlegen, was ich ihm sage. Keine geregelten Arbeitszeiten, wenig finanzielle Aufstiegschancen und mittlerweile auch in der Bevölkerung dazu noch ein Image, dass mit den alten Zeiten vor 30 Jahren, als der Lokalredakteur mit seinem Ansehen fast auf einer Stufe mit dem Bürgermeister oder Amtsgerichtsdirektor stand, nicht mehr vergleichbar ist.

Nun gut, in vielen anderen Branchen ist die Entwicklung viele Jahre ähnlich gewesen – bis jetzt immer mehr der Mangel an Mitarbeitenden und Fachkräften deutlich wird. Vielleicht auch für die Medienbranche eine Hoffnung. Und zur „Not“ wartet nach einer guten Ausbildung auch für die „Guten“ in der Branche ein besser bezahlter Job in einer PR-Agentur oder als Sprecher einer Behörde oder eines Unternehmens. Auch wenn das dann kein Journalismus im klassischen Sinne ist, der für die meisten „Schreiberlinge“ die Motivation bei der Berufswahl ist.


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    Holger HartwigVon Arbeitsverträgen