Das Telefon klingelt. Kaum habe ich den Hörer in der Hand, kommen – ohne dass der Anrufer seinen Namen sagt – deutliche Worte: „Mein lieber Herr Hartwig, eines dürfte Ihnen doch wohl klar sein: Wenn SIE so weitermachen, dann kostet das nicht den Kopf des Chefredakteurs. Haben wir uns verstanden?“ Ja, das hatte ich.
Nun, ich war in den vielen Jahren als Journalist bereits einiges gewohnt, aber dass der erste persönliche Kontakt zu einer offenbar nach eigenem Verständnis „mächtigen“ regionalen Persönlichkeit so startet, das ist dann doch eine neue Erfahrung. Und wie reagiert ein Redakteur in so einem Moment? Egal, was die Drohung mit ihm macht – er muss das Theater mitspielen. Also bekam der Anrufer nach einer kurze Pause die passende Antwort: „Mein lieber Herr …, wenn Sie meinen, dass Sie mir drohen müssen, dann ist das in Ordnung. Aber wenn Sie meinen, dass ich deshalb irgendetwas anders mache oder gar nicht mehr schreibe, was ich für sinnvoll halte, dann sollte Ihnen klar sein, dass das mit mir nicht funktioniert. Solange mein Chefredakteur mich nicht anruft und sagt, was ich zu tun oder zu lassen habe, mache ich es so, wie ich es von einem frei denkenden und kritischen Redakteur erwarte. Haben Sie mich verstanden?“ Für einen Moment war Ruhe am anderen Ende – und die habe ich genutzt, um nachzulegen. „Wenn mein Chefredakteur daherkommt und mir pauschal und unbegründet – so wie Sie – vorschreiben will, was ich zu schreiben habe, dann werde ich, so schnell können Sie gar nicht gucken, meine Sachen packen und gehe…“.
Warum ich von diesem Telefonat berichte? Es ist eine von vielen Situationen, in denen ich als Volontär, Redakteur, Redaktionsleiter oder Chefredakteur bedroht wurde. Solange es dabei nur um den „verlodderten und unfähigen Schreiberling“ (Zitat aus einem anderen Drohanruf) geht, mag das noch ok sein. Aber es bleibt nicht immer dabei. Etwa 18 Monate später muss ich wieder einmal etwas geschrieben haben, was nicht „in das System“ passte. Daraufhin bekam ich von einer im Ort durchaus bekannten, vernetzten und von vielen geschätzten Person Besuch in der Redaktion. Auch hier werde ich die Worte nie vergessen: „Sagen Sie mal, Sie haben sich doch hier im Ort ein Haus gekauft. Fühlen Sie sich wohl?“ Meine Antwort: Ja. „Und Ihre Frau: Fühlt die sich auch wohl?“ Auch da meine Antwort: Ja. „Und wie sieht es mit Ihren beide Söhnen aus? Fühlt der eine sich dort im Kindergarten XY und der andere in der Grundschule XY auch wohl und sind zufrieden?“ Meine Antwort: „Ja, sie fühlen sich auch wohl“ (XY waren die Namen von Schule und Kindergarten). Mein Gast macht eine kurze Pause und dann sagt er: „Wenn Sie wollen, dass das so bleibt, dann sollten Sie so etwas, wie in den vergangenen Tagen nicht mehr machen bzw. berichten. Dann kann niemand garantieren, dass das so bleibt, wie das jetzt ist.“ Puuh. Auch wieder eine klare Ansage. Ich überlege einen Moment lang. Denn das ist jetzt das erste Mal, dass meine Kinder mit hineingezogen werden sollen – und das mit Nennung der Schule und der Klasse. Und dann relativ ruhig (innen drin sah es anders aus) geantwortet: „Ja, ich habe verstanden. Raus, da ist die Tür. Es reicht.“ Das Gespräch war beendet.
Ich bin in diesem Moment dankbar für das, was mir mein Ausbilder auf seine ganz eigene Art mit auf den Weg gegeben hat. Ich hatte bei ihm oft miterlebt, wie seine Berichte für die heftigsten Resonanzen sorgten. Viel gesagt hat er nicht, aber seine Botschaft ist immer eindeutig gewesen: „Gehe als Journalist immer Deinen Weg. Handele aus Überzeugung und gerade, wenn Du bedroht wirst, gehe klare Kante“. Ich habe mich auf ihn immer verlassen können – wie auch auf meinen Chefredakteur in diesen beiden Fällen. Ich habe ihn informiert – und er hat mir Rückendeckung gegeben. Wie damals bei dem ersten Anruf und später auch, als ein Bürgermeister einen Brief schrieb, in dem er mir so ziemlich alle Kompetenzen abgesprochen hat, die man sowohl einem Redakteur als Autor als auch einem Mensch mit Blick auf verantwortungsvolles Handeln absprechen konnte. Und er hat sofort zugestimmt, als ich vorgeschlagen habe, diesen Brief ganz bewusst und in voller Länge in der Zeitung zu veröffentlichen. Denn auch das hatte ich von meinem Ausbilder gelernt. Wenn jemand auf Dich einhaut, dann gehe offensiv damit um. Bis heute keine schlechte Strategie.
PS: Ich habe die Drohungen und Angriffe – die beiden geschilderten Fälle sind die Spitze des Eisbergs in diesen Jahren – alle „überlebt“, weil Chefredakteur, Geschäftsführer und Herausgeber des Medienhauses sich hinter mich gestellt haben. Sie haben öffentlich deutlich gemacht, das für sie die Pressefreiheit immer an erster Stelle steht. DANKE.
Schreiben Sie einen Kommentar: