„Zu uns kommt nicht nur der Ali, sondern auch der Hans“

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„Auf einen Tee mit …“ – Heute mit Serhat Özdemir, Geschäftsführer der Türkisch-Deutschen Freundschaftsgesellsaft Leer (TDFG)

LEER Er ist selbst eines der besten Beispiele für Integration in der Stadt Leer und kümmert sich heute darum, dass sich Menschen, die aus anderen Regionen der Welt nach Leer kommen, zurechtfinden: Serhat Özdemir. Der 55-jährige gelernte Maurer ist Geschäftsführer der Türkisch-Deutschen Freundschaftsgesellsaft Leer (TDFG). In der  Rubrik „Auf einen Tee mit…“ berichtet Özdemir, der mit 9 Jahren nach Leer kam. aus der Arbeit des Vereins und aus der Migrationsberatung, erinnert an seinen Vater Kazim, verrät, warum die TDFG bald Geschichte sein wird und wie es sich angefühlt hat, eine Morddrohung zu erhalten.

Als berufsfremder, nicht-studiertem Sozialpädagoge die Leitung der TDFG zu übernehmen, habe ich mir zugetraut, weil …

… die Möglichkeit gegeben war, mein Ehrenamt und Hobby zum Hauptberuf zu machen. Ich habe mich zuvor bereits seit Jahrzehnten für die Integration und das Miteinander eingesetzt. Die TDFG kenne ich seit meiner Kindheit, weil sie mein Vater Kazim gegründet hat

Meine größte Herausforderung in dieser Aufgabe ist…

… jeden Tag die Probleme der Menschen im Alltag zu lösen. Es gibt immer wieder neue Aspekte, es wiederholt sich nur selten etwas. Manchmal dauert es auch zwei Jahre, bis eine Lösung gefunden wird für die Menschen, die sich an mich wenden. Hartnäckigkeit zahlt sich aus. Das macht mich glücklich..

Von meinem langjährigen Vorgänger Friedhelm Loots habe ich übernommen …

… viel, vor allem die Professionalität.  Das hat mir als Quereinsteiger sehr geholfen. Wir haben immer miteinander agiert – für den Verein und in der Integrations- und Migrationsarbeit.

Für die Arbeit der TDFG wünsche ich mir mehr…

… Würdigung der Ehrenamtsarbeit seitens der Politik und Verwaltungen, durch mehr „Entbürokratisierung“, denn Ehrenamt ist leider nicht mehr selbstverständlich. Es wird immer schwieriger, Engagierte zu finden. Das gilt auch für alle anderen Vereine und Verbände, die vom Ehrenamt leben.

Wer meint, dass die TDFG nur ein Ort der deutsch-türkischen Freundschaft ist, dem erzähle ich…

…  dass das völliger Unsinn ist. Der Name ist so, aber wir sind immer international gewesen. Um das auch nach außen deutlich zu machen, haben wir in der Mitgliederversammlung – wir haben Mitglieder mit 15 unterschiedlichen Nationalitäten – einstimmig beschlossen, den Vereinsnamen zu ändern. Es ist der Zeit angemessen. Aus TDFG wird HDK– Haus der Kulturen Leer e.V.

Unsere Migrationsstelle ist…

… im Behördenland Deutschland in Leer ein zentraler Anlaufpunkt für alle Fragen rund um Migration und Integration. Aber: Es ist nicht nur eine Stelle für Migranten. Es kommt nicht nur der Ali, sondern auch der Hans zu uns mit Themen vom Wohngeld bis zum Rentenbescheid.

Mein Vater Kazim hat für die funktionierende Integration in Leer …

… den Grundstein gelegt und viele Brücken gebaut. Wir sind die erste Migrationsberatungsstelle in Leer seit 1983. Ohne das Engagement meines Vaters würde es in Leer im Umgang mit Menschen anderer Herkunft einiges vielleicht anders sein. Er hat, meines Wissens, den ersten von Migranten für Migranten gegründeten Verein in Leer gegründet.

Der größte Fehler bei der Integration von Zuwanderern nach Deutschland …

… ist, meines Erachtens, ab 2015 gemacht worden. Die damalige Welle mit Flüchtlingen ist bis heute nicht in den Griff bekommen worden. Ich bin stolz in einem Land zu leben, in dem Menschen geholfen wird. Die Hilfe damals mit allen Folgen war zu unkontrolliert.

Wenn ich an meine Kindheit in Leer zurückdenke, dann…

… war diese unbeschwert. Die Zeit beim Fußball mit den Spielen der Leeraner Vereine waren für mich Highlights.

In die SPD bin ich eingetreten, weil …

… ich die Ziele – sozial und demokratisch – für gut halte.

Bei meiner Tätigkeit im Leeraner Stadtrat und Kreistag wäre es gut, wenn ich

… in meiner Aufgabe noch mehr für das kulturelle Angebot und die Integration beitragen könnte. Übrigens: Ich denke, dass Integration nicht nur für andere Nationalitäten gilt, sondern auch für Menschen aus Bayern (lacht).

Fußball ist für mich…

… Lebenselixier.

Meine Heimat ist…

… Leer, Ostfriesland, Deutschland. Meine Familie und ich haben ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft.

Wenn ich an die Morddrohungen als Betriebsrat der Tochterfirma eines großen Windkraftanlagen-Herstellers zurückdenke, dann…

… hat mich diese Zeit sehr geprägt und gestärkt. Sie hat mich zu dem gemacht, was sich heute bin. 

Ich habe das letzte Mal gelogen, als…

Notlügen sind doch alltäglich, oder?

Meinen letzten Strafzettel habe ich kassiert für…

… zu schnelles Fahren. Ich musste einen Monat lang laufen und radeln. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Es sollte mir eine Lehre sein. Ich gelobe Besserung.

Ich kann mich so richtig aufregen über…

… Egoismus. 

Mein größter Fehler ist, dass …

Welcher meiner Fehler ist der größte? (lacht).

Das letzte Buch, das ich gelesen habe, war…

… das des kurdischen Schriftsteller Osman Aydin. Es beschreibt die Geschichte von berühmten Kurden.

Wenn ich einen Tag lang ein anderer sein könnte, dann wäre ich gerne…

… eine Frau, um zu wissen, ob sie wirklich etwas anders ticken als wir Männer.

Wenn ich drei Wünsche frei habe, dann wünsche ich mir, dass…

… Frieden, Freiheit und Freude am Leben für alle. Wenn das gegeben wäre, wäre vieles auf der Welt einfacher.

 

Seit der Kindheit mit der TDFG verbunden und heute Geschäftsführer des Vereins: Serhat Özdemir.

Foto: privat

Holger Hartwig„Zu uns kommt nicht nur der Ali, sondern auch der Hans“

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