Das Mithören

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Die Zeit direkt nach der Wende in den fünf neuen Bundesländern hat es in sich gehabt. Sie ist bis heute die beste Schule, die es für „Vorsicht am Arbeitsplatz“ gibt. Denn Journalisten und ihre Arbeit stehen mehr im Fokus, als ihnen bzw. mir das lieb ist. Zu gerne wird beobachtet, sogar mitgehört und dann in „Drohungen“ verpackt.

Stichwort mithören. Da ist die Geschichte mit meinem Telefon im Jahr 1991. Ich in Karlshagen (Insel Usedom= in einem Wohnblock, der zu DDR-Zeiten vor allem das Zuhause von Mitgliedern der Nationalen Volksarmee (NVA) war. Im Umgang mit den Nachbarn merke ich nicht viel. Irgendwann im Laufe des Jahre 1991 gehöre ich dann zu den Auserwählten, die als erste einen Telefonanschluss bekommen. Bestimmte Berufsgruppen – und dazu gehören auch Journalisten – wurden durch die Telekom bevorzugt. Nun hatte ich ja viel davon gehört, wie die Abteilung „Horch und Guck“ Informationen eingesammelt hatte, und war dementsprechend skeptisch, ob ich nicht auch bei meinem Telefon unerwünschte Mithörer habe. Mir fällt auf: Irgendwie knackt das ja immer so komisch, wenn ich ein Gespräch führe. also will ich es wissen. Ich vereinbare mit einem Freund, dass ich eine komplett erfundene Story erzähle, die sich aus aktuellen Recherchen ergeben hat. Die Geschichte ist so formuliert, dass sie zutreffen könnte und – für den Fall, dass jemand mithört – Interesse weckt. Wenn mitgehört wird, gehe ich davon aus, dass das Thema mit Zeitverzug irgendwo wieder auftauchen dürfte. Es dauert dann genau drei Wochen, da erkenne ich bei einer politischen Recherche die Information, die ich erfunden hatte, wieder…

Meine Vermutung, dass hier alte Kräfte am Wirken waren, lässt sich bis heute nicht belegen. Denkbar wäre es, denn die Geschichten und Enthüllungen über Kungeleien und Geschäfte, die wir damals recherchieren und dann im Wolgaster Anzeiger veröffentlichen, haben es in sich und so manches Vorhaben auch durchkreuzt. Und wenn ich mich an die Erzählung eines Hoteleigentümers auf Usedom erinnere, der 2012 berichtete, dass er erst im Jahr 2008 die letzten „Mithörmöglichkeiten“ in seinem Hotel entdeckt und zerstört habe, dann mag ich das immer noch nicht so recht glauben. In dem Fall ist aus dem Keller eines Nachbarhauses die alte Technik noch in Teilen genutzt worden. Bemerkt wurde es erst, als der Hotelier das Haus kaufte und es abreißen ließ.

Doch das „Horch und Guck“ ist nicht nur in den neuen Bundesländern beliebt. Auch in den Jahren im Westen gibt es immer wieder Situationen, wo ich mich wundere, wie sehr der Redakteur und sein Lebensumfeld beobachtet wird. Als im nördlichen Emsland die Debatte um den Bau eines Kohlekraftwerkes in Dörpen hochkochte und es sogar Morddrohungen gegen Politiker gab, bekomme auch ich eines Abends gegen 22 Uhr zuhause einen Anruf. Da hat sich jemand sehr genau informiert. Abgesehen von Beleidigungen und Unterstellungen, dass mir wohl jegliche christliche Werte fern seien, weiß die Person viele Details zu mir und meiner Familie. Hobbys, Kindergarten, Schule, Klassenlehrer etc. Alle diese Infos werden verbunden mit der Forderung, doch endlich dafür zu sorgen, dass die Berichterstattung und vor allem auch die Kommentare sich klar gegen das Kraftwerk positionieren. Man werde mein Verhalten weiter intensiv beobachten und sich weitere Dinge überlegen… Natürlich ist mir etwas mulmig in diesem Moment, aufgrund bestimmter Inhalte des Telefonats habe ich einen Verdacht. Ich nutze die kommenden Tage in den Netzwerken der Stadt und der Region, um deutlich zu machen, dass ich mich bei erneuten Anrufen und Drohungen zu wehren wisse. Es wird dann wieder etwas ruhiger – die Unterstellungen, dass „diese Schreiberlinge ja alle von der CDU gekauft“ sind, bleiben in den nächsten Monaten. Im Zuge einer Wahl wird sogar einmal der Staatsschutz bei einer Veranstaltung, die wir als Zeitung mit Bundestagskandidaten machen, eingeschaltet. Erst als das Projekt Kohlekraftwerk politisch begraben wird, kehrt wieder Ruhe ein.

Fazit: Der wilde Osten war in den Wendejahren auf Schritt und Tritt für Überraschungen gut. Es ist diese harte Schule, die mich bei jedem beruflichen Schritt genau überlegen lässt, mit wem wann was wie besprochen wird, und auch dafür sorgt, dass ich in den Folgejahren vieles gelassener nehmen kann. Geschadet haben die vielen Erlebnisse bei späteren Recherchen auf jeden Fall nicht – und mit Drohungen lässt es sich (etwas) leichter umgehen.

Foto: Nida/pexels

Holger HartwigDas Mithören