Der Pfarrer und die Krankenhaus-Lüge

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Es ist Januar 2012. In Papenburg geht das Gerücht um, dass das Marienhospital die Frühgeborenen-Station dicht machen will. Die Klinik hatte im Jahr zuvor geraden den Konkurs abwenden können durch die (Teil)-Übernahme und Aufnahme in den Verbund unter Führung des katholischen Krankenhauses in Lingen. Gesellschafter sind seit wenigen Wochen die St. Bonifatius Hospitalgesellschaft Lingen e.V. und die Stiftung Marienhospital Papenburg-Aschendorf. So, wie es sich für eine Redaktion gehört, werden die Gerüchte aufgegriffen – und werden indirekt bestätigt. Die Empörung ist groß, Teile der Papenburger Politik rufen zum Protest auf – und über 500 Papenburgerinnen und Papenburger stehen an einem Sonntagvormittag protestierend am Hauptkanal. Die Stimmung ist aufgeheizt, der heftige Gegenwind scheint die Klinikverantwortlichen zu überraschen. Es dauert einige Tage – und es tut sich etwas. Wir als Redaktion der Ems-Zeitung sind bei dem Thema immer „up to date“ – und unsere Leserinnen und Leser damit auch.

Dann kündigt sich ein Redaktionsbesuch an. Vertreter der Geschäftsführung und das Aufsichtsgremiums wollen an einem Freitagnachmittag in einem persönlichen Gespräch über die aktuelle Lage informieren und auch erklären, wie es weitergehen soll. Parallel dazu werde es auch eine offizielle Medieninformation geben, die an alle Zeitungen der Region gehe. Hört sich spannend an, wird es auch. Einige Telefonate im Vorfeld des Termins mit gut informierten Gesprächspartnern, die sich wie immer auf Vertraulichkeit verlassen können (Mein Journalistengrundsatz: Ein guter Redakteur weiß alles, aber wenn es notwendig ist, nicht woher“), lassen erkennen, dass die Schließung vom Tisch ist. Na dann mal abwarten, wie die Vertreter der Klinik die Kehrtwendung vom Aus zur Modernisierung begründen werden…

Kurz bevor die Besucher in die Redaktion kommen, spreche ich mit meiner Sekretärin ab, dass sie bitte darauf achte, ob und wann die offizielle Medieninformation per Mail kommt. Sie möge mir diese dann bitte in das laufende Gespräch reinreichen, damit ich die Infos auch „schwarz auf weiß“ habe.

Das Gespräch beginnt. Die eindeutige Botschaft des Pfarrers, der an diesem Tag und auch heute – fast zehn Jahre später – in der Gesellschafterversammlung sitzt, ist zusammengefasst (nicht wörtlich) so: Das Ganze ist ein Missverständnis. Es habe zu keinem Zeitpunkte die Überlegung gegeben, die Station zu schließen, sagt der Dechant. Es habe lediglich Überlegungen gegeben, wie es langfristig weitergehen soll. Und für diesen Weiterbetrieb seien nun wichtige Weichen gestellt worden. Es müsse darum gehen, die Unruhe, die unnötigerweise entstanden ist, zu beenden. Kurzum: Es wird der Eindruck vermittelt, dass es eher die Redaktion mit ihrer Berichterstattung war, die für die Turbulenzen gesorgt hat, und nicht die Klinikverantwortlichen…

Ich lasse mir die Lage ausführlich erklären, stelle Nachfragen. Es wird nochmal bestätigt, dass auch eine Medienerklärung versendet wird. Das Gespräch verläuft insgesamt harmonisch – auch wenn ich innerlich kurz vor der Explosion stehe. Erstmal nichts anmerken lassen, warten, bis die Info vorliegt. Dann geht die Tür auf, meine Sekretärin reicht den Ausdruck rein. Auch darin steht, dass es nie die Absicht gegeben habe, die Station zu schließen. Ich frage noch einmal, ob ich das nun richtig verstanden hätte. Eindeutige Antwort: Ja.

Nun ist der spannendste Zeitpunkt des Gesprächs gekommen, den ich so lange in der „Hinterhand“ halten musste. Ich hole einen Ausdruck von meinem Schreibtisch und bitte meine Besucher, mir kurz zuzuhören. Ich lese den Inhalt einer Mail vor, ohne die Empfänger und den Absender zu nennen. Darin steht klar und deutlich, dass die Schließung wohl unvermeidbar werde. Dann frage ich den Dechanten, was er zu dieser Mail sage. Er bleibe bei seiner Darstellung. Ok, dann der nächste Schritt: Der Absender dieser Mail vom Januar ist der amtierende Geschäftsführer des Krankenhauses, der Empfängerkreis das verantwortliche Personal im Hospital. Schweigen. Die Existenz der Mail wird auf Nachfrage – nicht bestritten. Bevor das jetzt etwas „eisige“ Gespräch, in dem ich ganz offensichtlich durch den Dechanten wider besseren Wissens angelogen wurde, endet, informiere ich, was ich am nächsten Tag berichten werden. Am nächsten Tag erscheinen ein Bericht mit den Aussagen der Klinikvertreter und daneben ein Bericht mit einem Abdruck der Original-E-Mail. Damit kann sich jede Leserinnen und Leser selbst ein Bild machen. Was am Ende steht? Erstens: Erfreulich ist, dass die Station nicht geschlossen wurde. Zweitens: Auch ein Dechant ist nur ein Mensch – und wenn Kirchenvertreter in der Wirtschaft unterwegs sind, dann ist halt einiges anders.

Apropos Wirtschaft: Auch das ist aus den Berichterstattungen in den vergangenen Jahren über Unternehmen, an denen die katholische Kirche beteiligt ist, hängengeblieben. Wie Behörden (da ist es der Personalrat) und Unternehmen (da ist es der Betriebsrat) haben auch katholische Firmen eine so genannte Mitarbeitervertretung (MAV). Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied. Sowohl Personal- als auch Betriebsrat haben das Recht, sich bei öffentlichen Diskussionen auch öffentlich zu äußern. Nicht so die Mitarbeitervertretungen. Ihre Mitglieder sind bei den wichtigen Gremiensitzungen der Kirchenbetriebe zwar mit dabei, bekommen einen guten Einblick, haben aber – salopp ausgedrückt – einen „Maulkorb“ (Paragraph 20, Schweigepflicht, der Mitarbeitervertretungsordnung der Diozöse Osnabrück). Sie haben öffentlich Stillschweigen zu bewahren bzw. sich nicht positionieren, zu dienstlichen Angelegenheiten oder Tatsachen, „die ihnen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Mitarbeitervertretung bekannt geworden sind“. Deshalb war auch die MAV in den Debatten um die Abteilungsschließung nicht in der Zeitung zu Wort gekommen. Geht es allerdings um positive Entwicklungen, ist das übrigens meist anders, zeigen die Erfahrungen der zurückliegenden über 30 Jahre…

Foto: Vidal Balielo, pexels.com

 

Holger HartwigDer Pfarrer und die Krankenhaus-Lüge