Kolumne: Von einer traumatischen und unvergesslichen Wahlnacht

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Als Kolumnist hat man manches Mal komische Träume – so auch nach der Kommunalwahl. Es geht um die Ereignisse rund um die Bürgermeisterwahl in Leer. Und dieser Traum hat das Zeug dazu, dass über ihn in Leer noch in vielen Jahren gesprochen wird. Die Fakten lagen ja bereits vor 20 Uhr auf dem Tisch. Bürgermeisterin Beatrix Kuhl ist abgewählt, der parteilose Claus-Peter Horst wird neuer Chef im Rathaus. Die jeweiligen „Lager“ begießen anschließend das Wahlergebnis auf einem Ausflugsdampfer und in einer Altstadtkneipe. So weit, so gut.

Der Traum: Irgendwann zu etwas fortgeschrittener Stunde kommt unter anderem ein angesehener Kaufmann – im Traum heißt er C.K. – vom Schiff an einem Cafe vorbei, in dem die Bürgermeisterin und andere zusammensitzen. Es handelt sich um eine „geschlossene Gesellschaft“, wie dem Kaufmann gesagt wird. Das interessiert ihn nicht, er verschafft sich Zutritt. Was dann passiert, ist nicht ganz in jedem Detail erkennbar. Es geht auf jeden Fall heiß her und laut zu. Besagter Kaufmann und Immobilieneigentümer tippt der Noch-Bürgermeisterin auf die Schulter und bringt dabei zum Ausdruck, dass er ja immer gesagt habe „dass ich Dich klein kriege.“ Ok, wenn man feiert, dann ist manchmal das Leben halt besonders, rechtfertigt aber kein unflätiges Handeln.

Es geht Schlag auf Schlag weiter. Am nächsten Morgen nimmt einer der Beobachter die Situation zwischen Noch-Bürgermeisterin und dem Kaufmann zum Anlass, C.K. direkt anzurufen. Er fordert ihn auf, sich als Gentleman zu zeigen und sich bei der Bürgermeisterin für sein Verhalten zu entschuldigen. Courage nennt man sowas. So weit, so gut, sollte man meinen. Doch was passiert dann? Besagter Beobachter – eine Honorarkraft eines landesweit tätigen Bildungswerkes – bekommt wenig später eine Einladung von seinem Arbeitgeber zu einem Personalgespräch. Es läge eine Kundenbeschwerde vor. Dreimal dürfen Sie nun raten, welcher Kunde sich beschwert hat? Besagter Kaufmann, der mit dem Unternehmen Geschäfte macht. Gut nur, dass der Beobachter die Entwicklung und das Gespräch mit Gelassenheit nehmen kann, da er anderweitig seine Existenz sichern kann. Aber was wäre wohl, wenn… Kurzum: Statt Entschuldigung ein Anruf beim Arbeitgeber. Geht – selbst im Traum – gar nicht, oder?

Dieser bemerkenswerte Traum von dieser unvergesslichen Wahlnacht und den Folgen war noch keineswegs zu Ende. Es folgte die Erinnerung an das Jahr 2014 und die Frage, wen die aktuelle Bürgermeisterin Kuhl damals abgelöst hat. Es war – das ist stadtbekannt – ausgerechnet einer der besten Freunde eines stadtbekannten Kaufmanns. Und eben dieser Kaufmann hatte sich durchaus – so die Erinnerung – dahingehend geäußert, dass er schon seinen Teil dazu beigetragen habe, dass sein parteiloser Freund und nicht der damalige, zwischenzeitlich verstorbene SPD-Bewerber Bürgermeister der Ledastadt wurde. Auch damals kosteten die Wahlkämpfe bereits Geld – vor allem die, die keine Partei im Rücken hatten. Der Kaufmann wurde damals in der Zeitung zitiert, dass er bei den Verhandlungen mit den Verlagen wegen der Werbung helfe, aber nicht finanziell unterstütze.

Die traumhaften Gedanken gingen weiter. Es kommen auch noch einige Immobiliengeschäfte in Leer vor, Erinnerungen an die Planungen für ein gescheitertes großes Einkaufszentrum in bester Kaufmannslage, an diverse Netzwerke und vieles mehr. Auch die Frage, was denn wohl die Kombination aus Geld mit Macht und Einfluss im beschaulichen Leer zu tun haben könnte, wird gestellt – doch eine Antwort bleibt aus. Der Wecker klingelte. Schade.

Den Kolumnisten lässt sein Traum nicht los. Wenn man mit offenen Augen und Ohren durch die Welt geht und aufmerksam ist, dann passt manches mehr zur Leeraner Realität, als es sich im Traum dargestellt hat. Welcher Kaufmann ist beispielsweise der Eigentümer des Gebäudes, an dem in zentralster Innenstadt-Kaufhauslage das mit Abstand größte Wahlplakat des künftigen Bürgermeisters Claus-Peter Horst hing? Und wie war doch gleich die Antwort des neuen Bürgermeisters auf die konkrete Frage des Kolumnisten nach seinen Sponsoren Mitte August, vier Wochen vor der Wahl? Horst antwortet damals: „Ich bin ein integrer Mensch und werde es auch bleiben. Was die externe finanzielle Unterstützung betrifft, bin ich nahezu überwältigt, wie viele Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen parteiübergreifend mir in den vergangenen Wochen eine ideelle und finanzielle Unterstützung für meinen Wahlkampf angeboten haben – verbunden immer mit der Aussage, dass sich in Leer dringend etwas ändern müsse. Man setze große Hoffnung in mich, da ich die richtige Person für diesen Neuanfang sei. Das hat mich sehr beeindruckt. Mit einer solchen Welle der Unterstützung hätte ich nie gerechnet.“ Die Zuwendungen setze er selbstverständlich für den Wahlkampf ein und melde sie ordnungsgemäß beim Finanzamt.

Sollte der Traum mit dem Verhalten eines Kaufmanns kein Traum gewesen sein, dann wird das auch dem neuen Bürgermeister zu Ohren gekommen sein. Für ihn als integren Menschen wird es dann sicherlich eine absolute Selbstverständlichkeit sein, auch öffentlich den Umgang mit seiner Amtsvorgängerin und Methoden wie das Anschwärzen bei Arbeitgebern zu rügen. Ebenso wird es für ihn kein Problem sein, öffentlich eindeutig Gerüchte zu beenden, dass er von einem bestimmten Kaufmann organisatorisch, ideell oder finanziell im Wahlkampf unterstützt wurde bzw. wird. Damit würde er unterstreichen, dass sein Wahlkampfmotto „Mehr Miteinander“ ernst gemeint war.

PS: Als Journalist muss man sehr vorsichtig sein, wenn man über seine Träume berichtet. Das kann mächtig Ärger geben. Aber: Wenn nach diesem geschilderten Traum Telefonate, schriftliche Erklärungen und E-Mails eingehen und offensichtliche Umstände – beispielsweise ein riesengroßes Wahlplakat, das exakt da hängt, wo man es im Traum gesehen hat – zutreffen, dann denkt man sich: Es ist erforderlich, über seinen Traum zu schreiben. Vielleicht haben ja auch andere Leeranerinnen und Leeraner so komische Träume über Macht, Geld, Geschäfte, Politik und mögliche Abhängigkeiten.

Symbolfoto: Askar Abayev, pexels

 

Holger HartwigKolumne: Von einer traumatischen und unvergesslichen Wahlnacht