Von Holger Hartwig*
Jeder kennt diese Situation. Das Essen im Restaurant hat nicht so geschmeckt wie erwartet, der Service beim Internetdienstleiter war eine Katastrophe oder die Kollegen im Job haben sich mal wieder ein „dickes Ding“ erlaubt. Reflexartig neigen Menschen dann dazu, sich beschweren zu wollen. Mal mündlich und dann auch oft sehr emotional, mal schriftlich und mit der nötigen Distanz zur Situation. Die Standardformulierung dabei: „Ich will mich beschweren…“.
Beide Wege einer Beschwerde haben eines gemeinsam: So wie es das Wort schon ausdrückt, sorgen sie zunächst für eine Schwere bei demjenigen, der sie formuliert. Wer seinen Unmut verbalisiert, der setzt in seinem Gehirn Gedanken frei, die zu einer Schwere führen.
Es lohnt sich, genau hinzusehen, was der Grund für eine Beschwerde ist. Oft ist es wirklich so, dass das Verhalten anderer einen Grund dafür liefert. Aber eines ist dabei auch klar: Wer sich beschwert, der projiziert seine eigene Schwere dann auch auf die anderen.
Warum? Der Umgang mit jeder Situation des Lebens ist eine Frage der Einstellung. Das gilt auch bei Beschwerden. Ist eine Beschwerde mit emotionaler Aufregung – und das ist in den meisten Fälle gegeben – verbunden, drückt sie vor allem aus: Der Beschwerde-Führer nimmt sich eine Situation so zu Herzen, dass sie ihn belastet und ihm – im schlimmsten Fall – für einige Zeit jegliche Freude und Leichtigkeit nimmt.
Ein Weg, damit eine Beschwerde nicht zu einer persönlichen Belastung wird, ist die Herangehensweise. Denn im Prinzip ist jede Beschwerde ja eine Erleichterung. Ich formuliere, was mir nicht gefällt. Ich erleichtere mich von einem Sachverhalt und verbinde damit die Hoffnung, dass die angesprochene Person oder das Unternehmen auf mich eingeht, mir gerechter wird und am besten für mich eine positive zufriedenstellende Lösung anbietet.
Wer im Kopf umdenkt und aus „Da werde ich mich mal gleich beschweren“ den Gedanken macht „Ich erleichtere mich und gebe anderen die Chance zu agieren“, wird feststellen, dass statt der gerne auch mal sprachlich aggressiven Beschwerde ein freundliches „Du kannst etwa für mich tun“ wird. Statistisch bewiesen ist es nicht, dass dieses Umdenken für den „Erleichterer“ erfolgreicher im Ergebnis ist als jede Beschwerde. Aber: Jeder kennt den Satz „So wie Du es in den Wald hineinrufst, schallt es heraus…“.
Übrigens in Deutschland hat man das „Beschweren“ mittlerweile an vielen Stellen sogar institutionalisiert. Viele Firmen oder Behörden haben extra eine Abteilung „Beschwerde-Management“ eingerichtet. Vielleicht wäre es gut, wenn die Mitarbeitenden sich am Telefon stattdessen meldet mit: „Hier ist Ihre Erleichterungs-Abteilung. Wir finden mit Ihnen gemeinsam eine gute Lösung“. Was meinen Sie: Würde jede „Beschwerde“ dann nicht gleich zu mehr Leichtigkeit und damit die Befreiung von der Schwere mit sich bringen?
* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.