DIE KOLUMNE – Rauf aufs Rad: Müssen dafür Millionen investiert werden?

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Rauf aufs Rad – das ist einer der Trends, der in Deutschland im Moment zu einer wahren Investitionswut in fahrradfreundliche Innenstädte führt. Auch in Leer. Die ersten Maßnahmen des für die nächsten Jahre insgesamt auf 4,8 Millionen Euro taxierten Pakets sind umgesetzt. Und was ist bisher dabei herausgekommen? Wer mit Radfahrern in der Stadt spricht, der stellt fest: Wenig.

Zuallererst fällt der Blick auf den neuen breiten roten Streifen auf dem Ostersteg. Der ist nicht zu übersehen, führt aber vor allem dazu, dass der zweispurige Ring durch die Innenstadt jetzt für Autos nur noch einspurig ist und so den Verkehr beruhigt. So manch´ ein Radfahrer packt sich an den Kopf. Denn für den neuen Streifen wurde ein Fahrradweg „zurückgebaut“. Dort wurden stattdessen „Pflanzenzonen“ eingebaut. Ein Luxus, denn in vielen anderen Städten wäre man froh, überhaupt einen so gut ausgebauten Fahrradweg gehabt zu haben. Dann ist da noch der Fahrradstand und die abschließbaren Boxen auf dem Ostersteg-Parkplatz. Wenn überhaupt, dann wird dieser Stellplatz von Urlaubern genutzt. Leeranerinnen und Leeraner, die in die Innenstadt wollen, würden nie auf die Idee kommen, ihren „Drahtesel“ dort abzustellen, sondern fahren lieber direkt in die Fußgängerzone weiter. Wer sich das ausgedacht hat? Kann wohl nur von einem auswärtigen Expertenbüro kommen…

Ja, und dann ist da noch die ampeligste aller Ampelkreuzungen, der neue Bummert. Der soll nun mehr Sicherheit für Fahrradfahrer bringen. Das stimmt sogar. Die meisten, die sich in der Ledastadt auskennen, umfahren diese unübersichtliche, mit langen Wartezeiten verbundene Kreuzung. Die meisten ortskundigen Autofahrer übrigens auch. Zudem hat die Kreuzung ohne funktionierende Ampelanlage bestes funktioniert.

Wer nun glaubt, dass der Umbau der Innenstadt zur fahrradfreundlichen Kommune bald vorbei ist, der täuscht sich. Es wird erst noch richtig los gehen. Weitere Maßnahmen des Projekts „FaCit – Mit dem Fahrrad in der City“ stehen in den Startlöchern und sollen bis 2024 realisiert werden. Was da auf die Einwohner und Gäste zukommt? Viel, beispielsweise die Einrichtung von zahlreichen Fahrradstraßen durch radfahrgerechten Ausbau von zwei Radialrouten Nord und Nordost quer durch die Stadt. Dabei werden weitere Straßen konsequent in Fahrradstraßen umgewandelt. Zudem sollen durch Umbau die „Pedalritter“ unter anderem auch auf der Hajo-Unken-Straße, der Augustenstraße, der Blinke und der Ubbo-Emmius-Straße besonders berücksichtig werden. Alles Straßen, die bisher für die Autofahrer (noch) gute und zügige Zufahrtswege in die Stadt sind. Straßen, auf denen allmorgendlich tausende Schüler in die Ledastadt „transportiert“ werden. Man darf gespannt sein, ob dann auch wieder – manche nennen das einfallslos – breite rote Streifen vorhandene Fahrradwege ersetzen. Vielleicht gibt es ja auch ganz andere Möglichkeiten, die erfahrene Leeraner Radfahrer, die jeden Schleichweg kennen, empfehlen könnten.

An die Politik und die Verwaltung im Rathaus kann nur der Appell gerichtet werden: Schaut genau hin, was wirklich sinnvoll ist. Das Leitmotto des neuen Stadtbaurats, Rainer Kleylein-Klein, dass stadtweit der Fahrradverkehr Vorrang bei allen Plänen hat, sollte nicht blind übernommen werden – bei allem trendigen und nachhaltigem Klimabewusstsein. Leer lebt als Einkaufsstadt nämlich nicht nur von den Bewohnern, sondern vor allem auch von den Gästen aus dem Umland. Die können nicht mit dem Fahrrad kommen, sondern sind angesichts nicht vorhandener Bahnanbindungen oder eines völlig unattraktiven ÖPNV auf das Auto angewiesen. Sie wollen zügig in und durch die Stadt kommen, was durch die beschriebenen bisherigen Maßnahmen schon schwieriger geworden ist.

Vor allem sollte in Zukunft nicht nach dem Prinzip „Es gibt ja bis zu 90 Prozent Fördergeld für die Maßnahmen“ agiert werden. Denn selbst ein Eigenanteil von nur 10 Prozent ist in Zeiten klammer Kassen zu viel. Das Geld wird an anderen Stellen dringender benötigt. Die Fahrrad-Infrastruktur in Leer ist insgesamt nicht so schlecht, wie sie in den Konzepten der Fahrrad-Verkehrsplaner-Experten gerne dargestellt wird. Weniger kann manchmal auch mehr sein.

Holger HartwigDIE KOLUMNE – Rauf aufs Rad: Müssen dafür Millionen investiert werden?