Die Chipstüte

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Von Holger Hartwig*

Wer kennt das nicht? Erst ist es nur der Appetit auf Chips oder Schokolade – und Schwupp die Wupp ist aus dem Appetit eine komplette Tüte oder eine ganze Tafel geworden. Irgendwie ist da der Drang, bis auf den letzten Rest alles aufzuessen. Und das, obwohl der Heißhunger im Prinzip schnell gestillt ist.

Die Tüte oder Tafel muss vollständig dran glauben. Bei der Flasche Rotwein ist das – zum Glück – anders. Da wird ein Gläschen getrunken, vielleicht auch zwei – aber die Flasche kann halbvoll ohne Probleme zurück in den Schrank.

Was unterscheidet – abgesehen vom Alkoholgehalt – Chips/Schokolade vom Wein? Viel. Hier spielt bei vielen die Kindheit die große Rolle. Sie haben Geschwister? Dann wissen Sie aus Kindestagen, dass „ich mir meinen Teil der Schokolade sichern muss, da sonst nichts mehr da ist“. Oder Sie haben die Erfahrung gemacht, dass – wenn Sie etwas übriggelassen haben – es nicht selbstverständlich war, dass der verbliebene Rest am nächsten Tag wieder durch Mama „bereitgestellt“ wurde. Kurzum: In der Kindheit und Jugend waren das Abhängigkeiten. Es fehlte Ihnen die Freiheit, selbst zu entscheiden oder ggf. selbst für Nachschub zu sorgen. Also nahmen Sie, soviel sie konnten…

Bei der Flasche Wein ist das grundlegend anders. Da wissen Sie, dass Sie selbst entscheiden. Da wissen Sie als Erwachsener, dass Sie jederzeit eine neue Flasche aus dem Schrank holen oder eine neue kaufen können. Nun, das können Sie als Erwachsener bei der Tafel Schokolade oder Chipstüte doch auch, aber…

Es sind (unbewusste) Prägungen und Verhaltensmuster, die jeder – wie hier am Beispiel der Chipstüte – bis in das Erwachsenenalter mit sich schleppt. Wenn es also Umstände in Ihrem Leben gibt, die Ihnen nicht gefallen, aber wiederkehrend sind, dann hilft der Blick zurück in die Kindheit oder Jugend. Aber bitte dabei keine Vorwürfe formulieren gegen Dritte, die ein Verhaltensmuster, das Sie heute stört, geprägt haben. Vielleicht haben auch diese Dritten unbewusst ihre Prägung unreflektiert übernommen und weitergegeben.

Kurzum: Erstens die Wirklichkeit anschauen, die eine Situation prägt. Dann zweitens darauf schauen, wo Ihr Verhalten oder Ihre Gefühle ihren Ursprung haben könnten und drittens gut überlegen, ob oder was Sie gerne anpacken bzw. verändern möchten. Bei dem Thema Chips und der Schokolade gelingt die Veränderung meist leicht. Anders, als bei so manch‘ anderer Gewohnheit.

Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er coacht Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.


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