Die Zeit des „gefährlichen“ Miteinanders

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Von Holger Hartwig*

Nun stehen sie also wieder an – die Feiertage rund um Weihnachten und Neujahr. In allen Familien ist dieses die Zeit der Begegnungen. Es ist aber zugleich auch die Zeit des „gefährlichen“ Miteinanders.

Gefährlich? Natürlich ist es die Zeit des Wiedersehens, der Geschenke, des guten Essens und vielem mehr. Aber: Es ist auch die Zeit, wo viele Menschen teilweise stundenlag – etwas, was für manch einen ungewohnt ist – zusammen „hocken“. Es wird viel gesprochen – und dabei dann manches auch in den falschen Hals bekommen. Konflikte und Streit sind manchmal nur einen Satz oder eine Handlung weit entfernt. Das passiert nicht nur in Familien, sondern auch zwischen Nachbarn. Der Autor erinnert sich an seine Zeit bei einer Wohnungsgenossenschaft, in der er für das „Konfliktmanagement“ in Mehrfamilienhäusern zuständig war. Und was meinen Sie, wann am meisten „los“ war? Nach Weihnachten und nach Ostern – genau immer dann, wenn „die Hütte voll“ war. Ganz häufig waren es absolute Lappalien, die da zum Nachbarkrach führten. Bei Eheberatern soll das Phänomen ähnlich sein.

Warum ist das so? Was passiert da in den Köpfen? Vor allem eines: An die Zeit der Feste sind hohe Erwartung geknüpft – diese Zeit soll besonders schön werden. Meist unbewusst werden dabei auch – oft zu hohe – Erwartungen an das Verhalten der Anderen geknüpft. Zudem ist „man“ vielfach nicht mehr gewohnt, so lange Zeit miteinander zu verbringen. Gerne werden dann auch Geschichten aus der Vergangenheit herausgekramt, und die an diese geknüpften Emotionen unbewusst wieder „herausgeholt“.

Was ist also zu tun, damit die Zeit des Miteinanders stressfrei funktionieren kann? Es hilft, sich der besonderen Situation mit den an diese geknüpften Erwartungen bewusst zu werden. Es hilft auch, sich klarzumachen, dass jedes Fest neue Situationen und Herausforderungen mit sich bringt – trotz aller gern gepflegten Traditionen. Es hilft, zu wissen, dass jeder Mensch nicht stehen bleibt und deshalb jedes Wiedersehen mit Menschen, die man länger nicht gesehen hat, ganz neue Facetten mit sich bringen kann. Kurzum: Es gilt, an diesen (Feier)tagen bzw. arbeitsfreien Tagen noch aufmerksamer und achtsamer im Umgang mit anderen zu sein als sonst.  Und: Es kann nicht schaden, dass diese – wie sie gerne genannt werden – „ruhigen Tage“ mit innerer Ruhe und Gelassenheit angegangen werden sollten statt mit der Einstellung, dass es „Erwartungen“ der anderen gibt. Denn auch an Weihnachten gilt: Weniger ist manchmal mehr. Statt eines in der Vorbereitung stressigen 5-Gänge-Menüs schmeckt auch Kartoffelsalat mit Bockwurst, eine statt drei Torten reichen für den Kaffeetisch aus, und bei den Geschenken gilt sowieso: Nicht die Masse oder der Wert sind entscheidend, sondern die Herzlichkeit und die damit verbundene Wertschätzung.

In diesem Sinne: Allen ein angenehmes, stressfreies und einfach schönes Weihnachtsfest 2022.

* Der Autor ist Systemischer Coach, Kommunikationspsychologe (FH) und Heilpraktiker für Psychotherapie. Er unterstützt Menschen bei Herausforderungen, die das Leben privat oder beruflich mit sich bringt.

Holger HartwigDie Zeit des „gefährlichen“ Miteinanders