Die härteste Woche des journalistischen Berufslebens

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Viel los ist irgendwie immer gewesen, wenn ich an die Zeit in den Zeitungsredaktionen zurückdenke. Die härteste Woche überhaupt ist im Rückblick mit Abstand die Woche vor dem Erscheinen der neuen Sonntagszeitung „Ostfriesland Kompakt“ für den Kreis Leer im August 2008. Es ist die Zeit, als in der Region viele Verlagshäuser möglichst viel vom damals sehr üppigen  Anzeigen- und Beilagengeschäft in der Region „mitnehmen“ wollen. Neben den drei Tageszeitungen OZ, GA und Rheiderland-Zeitung erscheinen im Kreis Leer die Sonntagszeitung „Der Wecker“ (Zeitungsgruppe Ostfriesland in der Maiburger Straße), die „Neue Zeitung“ (Verleger Edzard Gerhard aus Emden/Riepe), der „SonntagsReport“ (Nordwest-Zeitung Oldenburg) und der „Abendkurier“ (zwei Verleger und Gründer aus Leer, Neue Osnabrücker Zeitung und Rheiderland-Zeitung). Beim „Abendkurier“ kommt es – vorsichtig ausgedrückt – zwischen den Eigentümern zu Differenzen und das Produkt soll aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt werden. Es soll ein Insolvenzantrag gestellt werden – allerdings „mischt“ aus dem Hintergrund mittlerweile die ZGO kräftig mit, die sich hinter die beiden Einzelverleger stellt.

Das Ergebnis der „Schlacht“: Der „Abendkurier“ wird erst einmal weiter erscheinen, auch wenn die Neue Osnabrücker Zeitung dagegen ist. Die ZGO sorgt wohl letztlich dafür, weil der Druck und Vertrieb unterstützt werden. Die Anzeigen- und Beilagenzusammenarbeit zwischen dem  Abendkurier und den Zeitungen aus Osnabrück wird sofort beendet. Das wiederum bringt für den Verlag aus Osnabrück unter Zugzwang, denn sehr viele Anzeigen werden in Kombination Emsland und Kreis Leer verkauft. Es muss eine Lösung her.

Was das damals konkret bedeutet? Innerhalb von lediglich einer guten Woche soll für das Kreisgebiet Leer eine neue Zeitung aus dem Boden gestampft werden. In Osnabrück weiß man um meine Leeraner Kenntnisse – also heißt es kurz und knapp: „Herr Hartwig, legen Sie los!“ Es folgt eine Woche mit insgesamt wohl nur knapp 20 Stunden Schlaf, denn es gibt nichts – keinen Namen für die Zeitung, keine Redakteure, kein Büro, keine Inhalte. Mit einem Team in Papenburg und in Osnabrück geht es im Eiltempo an die Arbeit. Telefonate hier, Telefonate da.

Ein Büro? Ist in der Edzardstraße gefunden, da muss jetzt nur der Maler durch, Möbel rein und ein Telefonanschluss her. Redakteure? Da müssen die beiden besten freien Mitarbeiter – der ist heute Niedersachsen-Chef in Osnabrück, der andere erfolgreicher Unternehmer in Papenburg – ihren Schwerpunkt mal eben in den Kreis Leer verlegen. Der Name der Zeitung muss gefunden werden, die Produktion geregelt werden und dann geht es auch um die Frage, wie denn die Inhalte aussehen sollen.

Mir hilft die Erfahrung der vergangenen Jahre und der Umstand, gebürtiger Leeraner zu sein. Man kennt mich –sonst wäre ich wohl auch „rappelig“ geworden, dem Nervenzusammenbruch nahe gewesen oder hätte das insgesamt sehr sportliche Projekt vor die Wand gefahren. Zudem müssen für Leseraktionen zum Start Partner gefunden werden. Auch das klappt. Was sich hier jetzt vielleicht etwas „einfach“ liest – es müssen in diesen Tagen viele Räder ineinander greifen. Das tun sie, es ist eine Teamleistung.

Es bleibt bis kurz vor dem ersten Erscheinungstag spannend, denn auch im juristischen Bereich geht es richtig zur Sache. Erst durch einen Winkelzug ist am späten Freitag klar, dass „Ostfriesland Kompakt“ – kurz OK – sonntags dann an den Start gehen kann.

Mein Team in Leer und die Mannschaft der Redaktion und des Verlages der Ems-Zeitung sowie die Kollegen aus vielen Abteilungen in Osnabrück  (IT, Marketing, Verkauf, Druckerei  und vor allem auch der Vertrieb/Logistik ziehen mit – wir schaffen es. Nach einer knappen Woche wird der „OK“ mit 32 Seiten auf dem Markt sein. Das Unglaubliche ist geschafft – in nur einer guten Woche haben wir eine konkurrenzfähige Zeitung auf den Markt gebracht.

Noch heute, wenn ich die Premierenausgabe mit den vielen auch exklusiven Inhalten, den Gewinnspielen und sehr vielen Anzeigen in der Hand habe, kann ich es nicht glauben, wie so eine – Entschuldigung – insgesamt „geile“ Zeitung innerhalb von wenigen Tagen machbar ist. Was da alles los war, in diesen wenigen Tagen, würde viele Zeitungsseiten füllen.

Es sind letztlich vor allem die vielen Resonanzen und die hohe Zahl der Gewinnspiel-Teilnehmer, die uns für die nächsten Wochen Rückenwind verleihen. Als Nummer 5 im Wochenend-Zeitungsmarkt gestartet, freuen wir uns, dass unser Anspruch, aktuell und journalistisch vielfältig zu sein, so gut ankommt.

Es werden 1,5 spannenden Jahre – bis sich im Verlags-Monopoly, wie sich die „Schlachten um Marktanteile“ auch gut bezeichnen lassen – wieder neue Konstellationen ergeben. Die Verlage aus Oldenburg und Osnabrück einigen sich auf eine „Marktberuhigung“ – aber das und wie so etwas praktisch aussieht, ist ein anderes spannendes Thema. Feststellen lässt sich: von einstmals 5 Wochenend-Zeitungen gibt es eine Dekade später gerade mal nur noch eine und nahezu alle Verlage der Region kooperieren miteinander und tauschen auch redaktionelle Beiträge aus. Wenn einstmals bis zu fünf Redakteure bei einem Termin waren, ist es heute meist nur noch einer, der dann für alle den Text schreibt. Und an eine Zeitungsneugründung denkt mittlerweile niemand mehr…

Holger HartwigDie härteste Woche des journalistischen Berufslebens