DIE KOLUMNE: Das Millionen-Grab der städtischen Wohnungen in Leer

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Eines vorweg: Es ist gut, dass in Leer endlich ein Strategiepapier zum aktuellen Zustand und den Perspektiven der insgesamt etwa 240 städtischen Wohnungen aufgestellt wurde. Bürgermeister Claus-Peter Horst und Elke Hinrichs, Chefin der städtischen KWL, die für die Wohnungen zuständig ist, haben sich alle Objekte angeschaut und bereits im Herbst 2022 der Politik aufgezeigt, wie die Lage ist. Erste Konsequenzen des Strategiepapiers werden nun im Stadtbild deutlich, beispielsweise durch Abrisse von Häusern im Eichenweg. Die Zahlen, die auf den Tisch gekommen sind, zeigen auf, dass die Wohnraum-Bewirtschaftung in Leer ein Musterbeispiel für jahrzehntelange kommunale Misswirtschaft ist. Abgesehen davon, dass ein Großteil der Wohnungen aktuell einen massiven Sanierungsstau aufweist – weil die Mieteinnahmen irgendwo im städtischen Haushalt viele Jahre versickert sind, anstatt sie für notwendige Sanierungen zu benutzen – wurden Fehler bei der Verwaltung und Bewirtschaftung gemacht, die sich nur schwer und mit sehr viel Geduld korrigieren lassen.

Die Fakten: Die Stadt bewirtschaftet etwa 16.000 Quadratmeter Wohnfläche. Allein die Personalkosten dafür werden – nach der geplanten Einstellung eines zusätzlichen Architekten – über 425.000 Euro pro Jahr betragen. Die Einnahmen aus Kaltmieten belaufen sich auf etwas unter einer dreiviertel Million Euro. Ergebnis: Pro Jahr macht die KWL derzeit über 600.000 Euro Minus – das sind etwa 3.000 Euro pro Wohnung jedes Jahr. Es wird also nur die Hälfte des für die kostendeckende Bewirtschaftung nötigen Geldes eingenommen. Fachleute aus der Wohnungswirtschaft packen sich bei diesen Zahlen nur an den Kopf. Sie wissen, dass die Betriebsgröße von 240 Wohnungen und dann bei diesen Personalkosten zu klein ist. Und sie wissen auch, dass auf die Wohnungswirtschaft in den kommenden Jahren durch die energetischen Sanierungen, die aus Berlin vorgeschrieben werden, zusätzliche horrende Investitionsverpflichtungen zukommen.

Das Minus ist auch so groß, weil die Stadt Leer ihre Wohnungen im Durchschnitt für eine Kaltmiete von 4,65 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche vermietet, obwohl in Niedersachsen für Sozialwohnungen eine monatliche Kaltmiete von aktuell 5,60 Euro gilt. Mit dieser Miete kann definitiv kein Wohnungsbestand wirtschaftlich und halbwegs modern gehalten werden. Es wurde teilweise wohl schlichtweg „vergessen“, die Mieten – die hoffentlich alle wirklich sozialschwach sind und nicht aus Tradition bei der Stadt wohnen – regelmäßig anzupassen. Es soll – so die Recherche – Mietverhältnisse geben, für die immer noch eine Kaltmiete von um die 2 Euro (!) gezahlt wird. Das dauert gefühlt hundert Jahre, bis bei solchen Wohnungs-Mietverhältnissen – darunter nicht nur Mehrfamilienhäuser (!) – die Kaltmiete auf Basis geltender Gesetze „sozialverträglich up-to-Date“ sein wird. Dazu dann noch die Flickschusterei – die wenigen Einnahmen im städtischen Haushalt „verschwunden“ sind. Überlegen Sie mal, in welchem Zustand die Wohnungen im Hermann-Lange-Ring vor der nun vorgenommen längst überfälligen Sanierung waren.

Warum hält die Politik in Leer mehrheitlich an diesem Millionen-Grab fest? Kurzum: Es scheint eine „heilige Kuh“ zu sein. Es war jahrelang so, dass bloß nichts abgerissen werden durfte und am besten auch nichts aus dem Wohnungsbestand verkauft wurde. Alle Bemühungen, die Wohnungen in professionelle Verwalterhände zu geben – vor zwanzig Jahren wollte der Bauverein Leer gemeinsam mit der Stadt die Sozialwohnungen auf Vordermann bringen, u. a. auch durch Abrisse, Verkauf von Grundstücken und Neubauten –, scheiterten an fehlenden politischen Mehrheiten. Eine Stadt wie Leer müsse Wohnungen für einen bestimmten Kundenkreis, der sonst kein Zuhause findet, bereithalten. Stimmt, die Konsequenz ist aber, dass im klammen städtischen Haushalt überproportional viel Geld „versenkt“ wird.

Wie es weitergehen kann? Schwierig. Die KWL hat keine Chance, soviel Miete zu nehmen, wie notwendig wäre, um kaufmännisch und wirtschaftlich zu agieren. Die KWL hat derzeit leider auch keine Grundstücke oder Objekte, die sie durch Verkauf „versilbern“ könnte, um damit Geld für Modernisierungen zu bekommen und nicht von Krediten oder Verlustübernahmen leben zu müssen.

Die Leeraner Politik muss weiterhin konsequent hinterfragen: Macht das Festhalten am eigenen Wohnungsbestand von nur 240 Wohnungen das Wohnen für sozialschwache Leeraner wirklich besser und bezahlbarer? Ist das Vorhalten dieses kleinen kommunalen Bestands angesichts des Millionendefizites zeitgemäß? Kann und muss eine Stadtverwaltung wirklich professionelle Wohnraumbewirtschaftung selbst betreiben oder können das Profis besser und effektiver? Muss in Leer neu gedacht und zielgerichtet nach Partnerschaften gesucht werden, um die Personal-Grundkosten der Verwaltung, die fast 30 Prozent der gesamten Einnahmen auffressen, auf mehr Objekte verteilen zu können? Kann bzw. muss eine Wohnraumsteuerung gezielter über Vorgaben für soziales Wohnen bei privaten Investitionen über das Baurecht erfolgen? Und zuletzt: Kann die KWL auf vorhandenen Grundstücken mit Fördergeldern selbst modern und wirtschaftlich – und mit neuen Mietverträgen und unter vollständiger Ausnutzung aller Sozialleistungen des Bundes – für Mieter bauen, um ihre finanzielle Basis zu verbessern?

Fest steht: Der eingeschlagene Weg – er ist immerhin substanzieller als alle „Versuche“ zuvor – wird ein teurer, sehr mühsamer und langwieriger, selbst wenn die Stadtverwaltung einen überirdisch guten Job macht. Man darf gespannt sein, wann und vor allem wie die nächsten kaufmännischen und gleichzeitig sozialverträglichen Schritte aussehen. Aus reiner Ideologie an nur 240 Wohnungen als Millionen-Grab festzuhalten, ist nicht die Lösung.

Abgerissen: erste Wohnungen im Eichenweg, die perspektivisch durch einen Neubau ersetzt werden sollen.

Holger HartwigDIE KOLUMNE: Das Millionen-Grab der städtischen Wohnungen in Leer