DIE KOLUMNE – Der jährliche „Leeraner Sporttag“: Ein Stiefkind ohne jede Strategie

Artikel teilen

Am 24. Mai ist es wieder soweit: Dann ist im Leeraner Rathaus der traditionelle große „Tag des Sport“. Wie seit 2013 kommt dann einmal jährlich – bis auf wenige Ausnahmen – der Sportausschuss für in der Regel 30 Minuten zusammen. Diese Zeit reicht aus. Die Tagesordnung kann das Sportamt der Stadt fast immer aus dem Vorjahr übernehmen, nur das Datum wird angepasst. Auch 2023 gibt es keine Überraschungen. Neben Formalien steht die Beratung und Beschlussfassung über Subventionen und Investitionszuschüssen an. Weitere Themen? Fehlanzeige. Der Sport hat in Leer halt nichts zu bieten…

Für die Zeitspanne der letzten zehn Jahren lässt sich an einer Hand abzählen, über was diskutiert wurde: Hallenbadneubau, geplanter Bau eines Allwetterplatzes bei Frisia Loga, vielleicht mal ein Antrag einer der kleinen Fraktionen. Dann war da 2019 die Beratung über einen Sportentwicklungsplan. Der wurde mehrheitlich von der Politik „abgewürgt“. Dass sich Fachleute Gedanken machen, wo die Reise hingehen soll und was wichtig ist, schien nicht erforderlich, 30.000 Euro Kosten waren zu hoch. Bis heute ist das der Status Quo. Im Klartext: Der Sport in der Stadt Leer und seine Entwicklung – immerhin ist fast jeder dritte Bürger Mitglied in einem Verein und allein 3.300 (!) Kinder und Jugendliche nutzen die Vereinsangebote – ist kein Thema, ein Stiefkind. Dabei gäbe es viel zu diskutieren. Die Kreisstadt ist in der Struktur und Qualität der Anlagen weit hinter der Zeit. Sie ist die einzige weit und breit, die keine Allwettersportanlagen hat oder ein Stadion, in dem auch einmal ein nationaler Wettbewerb stattfinden kann. Die modernste Anlage ist bei der Friesenschule – die darf aber im Prinzip nur von Schulen genutzt werden.

Deutlich wird der Stillstand auch bei der Sportförderung. Die ist seit Jahrzehnten „stabil“. Fangen wir mit der Sportstättenförderung an: Seit 2013 haben alle Vereine der Stadt für die Modernisierung und Instandhaltung ihrer Anlagen – fast alle sind in Vereinseigentum – nur 312.318,69 Euro erhalten. Zum Vergleich: In anderen Bereichen – in diesem aktuellen Fall der Mühlenverein Logabirum – sollen mal eben knapp 35.000 Euro aus „Haushaltsresten des Bürgermeisters“ bereitgestellt werden. Die gut 300.000 Euro sind insofern erschreckend, weil im Sport eine Drittelfinanzierung das System ist. Ein Drittel zahlt der Eigentümer, ein Drittel die Sportstrukturen und ein Drittel kommt von den Kommunen. Das macht dann etwa eine Million Euro in zehn Jahren für alle Anlagen. Man muss kein Prophet sein, um zu erahnen, dass es einen Investitionsstau gibt. Zudem kommt auf die Vereine zu, dass sie ihre Gebäude und Anlagen energetisch auf Vordermann bringen müssen. Es ist klar, dass die Gelder nicht reichen werden oder aber die Verein müssten massiv ihre bisher sozialverträglichen Mitgliedsbeiträge erhöhen, was auch nicht gewollt sein kann.

Machen wir weiter mit der Sportstättenunterhaltung. Was meinen Sie, wann die Stadt hier die Förderung zuletzt angepasst hat? Zitat aus dem Rathaus: „Vor mehreren Jahrzehnten“. Stimmt, Sporthistoriker erinnern sich, dass es schon Anfang der 1980er Jahre für die Pflege eines Sportplatzes 422 Euro gab. Bei Gebäuden sieht es nicht anders aus. Das reicht hinten und vorne nicht, ist fast genauso viel, wie die Vereine für die Erbpacht eines Sportplatzes an die Stadt pro Jahr zahlen. In anderen Kommunen des Kreises übernehmen die Bauhöfe beispielsweise sogar die gesamte Pflege…

Dritter Bereich sind die Sockelbeträge für den Jugendsport. Auch die sind mit 10,50 Euro pro Jahr pro Kind „stabil“ seit über 20 Jahren. Was die Stadtverwaltung zu diesem Punkt auf Anfrage schreibt, muss man 1:1 zitieren: „Nach der letzten Haushaltsgenehmigung sollen diese nicht erhöht, sondern eher gesenkt werden.“ Klar, Sportförderung ist eine „freiwillige Ausgabe“, aber dann braucht es keine Sonntagsrede mit Aussagen, wie wichtig doch der Sport für die Gesundheit und vor allem die (soziale) Entwicklung von Kindern ist, oder?

Die Verantwortung allein der Politik oder dem Rathaus zuzuschieben, ist zu kurz gesprungen. Es liegt vor allem auch an den Vereinen. Die sprechen nicht mit einer Stimme. Anders, als in vielen anderen Kommunen, gibt es in Leer keine Arbeitsgemeinschaft oder regelmäßige Zusammenkünfte. Es gibt keine gemeinsame Strategie, wie die Position des Sports langfristig gehalten oder verbessert werden kann. Der Sport hat in Leer nicht zuletzt deshalb (fast) keine Lobby. Da nützt es auch nichts, dass mit Thomas Bruns (VfR Heisfelde), Ferhat Özdemir (Kickers Leer und Germania Leer), Thomas de Vries (SC 04 Leer), Gerd Lübbers (Eintracht Nüttermoor) gleich vier amtierende und mit Heinz-Dieter Schmidt (BSV Bingum) ein Ex-Vorsitzender im Rat und im Sportausschuss sitzen. Seien wir gespannt, ob sie bei der nun anstehenden „Integrierten Stadtentwicklungsplanung“ (INSEK) dafür sorgen, dass der Sport angesichts der vielen Menschen in der Stadt, die ihn betreiben, besser und nachhaltiger platziert wird.

Schlussendlich lässt sich zur Beruhigung aller Beteiligten und der Vereinsmitglieder feststellen: Es läuft ja irgendwie – noch. Noch sind die Beiträge in den Vereinen sozialverträglich. Noch gibt es Ehrenamtler, die sich teilweise mit ihrem persönlichen Geld einbringen. Es wird Zeit, dass auch im Bereich des Sports Klartext geredet wird. Es wird Zeit, dass eindeutig festgelegt wird, wie langfristig die Ausstattung der Stadt mit funktionierenden Anlagen und zukunftsorientierten Angeboten gesichert werden bzw. aussehen soll.

Holger HartwigDIE KOLUMNE – Der jährliche „Leeraner Sporttag“: Ein Stiefkind ohne jede Strategie