DIE KOLUMNE: Die Crux mit einer Kreisbehörde als „Stadtentwickler“

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Sie sind schon einige Male in der Ubbo-Emmius-Straße in Leer an den leerstehenden Häusern auf dem EWE-Gelände vorbeigefahren und haben sich gefragt: Wieso verrotten diese Immobilien? Wieso passiert hier nichts? Dann seien Sie ganz beruhigt: Sie werden sich diese Frage noch bis 2025, 2026 oder gar 2027 stellen dürfen. Bis dahin wird sich nichts tun können. Warum auf dem innerstädtischen Filetstück, auf dem einst die EWE zuhause war, nichts passiert?  Die Antwort ist dabei so einfach: Die Kreisverwaltung ist seit Jahren nicht „aus dem Knick“ gekommen. Auch aktuell heißt es auf Anfrage nur: Das Gelände soll in Abstimmung mit der Kreispolitik und der Stadt Leer entwickelt werden. Es müsse eine Abwägung verschiedener Nutzungsoptionen erfolgen. Das ist sehr nett formuliert.

Kaufbeschluss bereits vor 10 Jahren

Zu den Fakten: Der Kreis Leer hat vor zehn Jahren – im Juli 2013 – beschlossen, das Areal von der EWE zu erwerben. Wieviel der Kreis für die Fläche in bester Innenstadtlage gezahlt hat – nichts Genaues weiß man. Der ehemalige Landrat Bernhard Bramlage, der zeitgleich auch EWE-Aufsichtsratschef war, dürfte auf jeden Fall nicht zu viel gezahlt haben. Schließlich hatte er damals eine klare Idee, wie die Fläche „mit gesellschaftspolitischer Bedeutung für die Region“ sinnvoll genutzt werden kann. Alle waren sich einig – ein Bildungscampus zwischen den beiden Leeraner Gymnasien wäre top. Es lief und der Rat der Stadt Leer, die die städtebauliche Planungshoheit für die Neunutzung der Flächen hat, spielte mit. Der Beschluss, dass dort Bildung anzusiedeln ist, gilt bis heute. Ende 2020 dann die Wende beim Kreis: Die Campus-Idee wird unter Federführung des neuen Landrats Matthias Groote beerdigt. Was soll stattdessen mit den Flächen passieren? Bis heute, mehr als zwei Jahre später, gibt es – siehe oben – nichts Genaues. Es hieß immer mal, dass die Flächen ja für neue Verwaltungsgebäude genutzt werden könnten. Passiert ist bisher fast nichts – kann ja auch nicht, da der Kreis bei der Nutzung der Flächen die Zustimmung der Stadt benötigt. Sie ist für die Bebauungspläne zuständig – und, so ist zu vernehmen, „not amused“ über Idee weiterer Kreisverwaltungsbüros mitten in der Stadt.

Altlasten dienen als Vorwand?

Spannend ist die Begründung, die der Kreis seit langer Zeit für seine nachhaltige Untätigkeit anführt. Man sei noch nicht Eigentümer, weil noch Altlasten durch die EWE beseitigt werden müssten. Stimmt, das wird erst im Laufe des Jahres, wie die EWE diese Woche bestätigte, erfolgt sein. Die Begründung ist allerdings ein schlechter Witz. Man weiß, dass man Eigentümer wird. Im Kreishaus weiß man auch, was es bedeutet, eine Bauleitplanung – es gibt sie nämlich seitens der Stadt bisher nicht – rechtsverbindlich zu realisieren. Das dauert – völlig losgelöst von der Frage, wie schnell sich Stadt und Kreis über ein Bebauungs- und Nutzungskonzept einig werden. Selbst wenn das im Schellverfahren passiert, muss erst die Politik im Leeraner Rat zustimmen und der Kreistag sein Go geben. Danach geht dann die Bauleitplanung los. Die dauert, weil sehr viele Interessen – auch der Anlieger – gehört werden müssen, nach Expertenangaben mindestens ein Jahr.

Nein zu gemeinsamer Entwicklungsgesellschaft

Immerhin: Seit Ende 2022 gibt es eine gemeinsame Arbeitsgruppe von Stadt und Kreis. Darauf hätte man auch schon vor Jahren kommen müssen, um keine Zeit zu verlieren. Neben der Frage, was gebaut werden soll, geht es – natürlich – auch ums Geld. Wird die innerstädtische Filetfläche größtenteils nicht für Bildung oder für Büros, sondern beispielsweise für einen Einkaufsmarkt – Interessenten dafür hat gegeben – oder Wohnbebauung genutzt, lassen sich die Quadratmeter „versilbern“. Und genau da beginnt das nächste Problem: Genau solche Entwicklungen sind nicht die Aufgabe einer Kreisverwaltung. Flächenentwicklung ist ein Muss für eine Stadt – selbst oder im Zusammenspiel mit einem privaten Investor.

Nun könnte man meinen, dass Stadt und Kreis ja auch gemeinsam agieren könnten, beispielsweise durch eine Entwicklungsgesellschaft. Oder dass der Kreis seine Vorstellungen für ein Verwaltungsgebäude durchdrückt, die restlichen Flächen dann zum einstmaligen Kaufpreis an die Stadt weiterreicht – beides schließt der Kreis auf Anfrage kategorisch aus.

„Zu gegebener Zeit“…

Was bleibt? Nichts steht wirklich fest, außer, dass es noch Jahre dauern wird, bis die Fläche komplett – der Digital Hub beispielsweise nutzt nur eines der vorhandenen Gebäude – sinnvoll genutzt werden kann. Man werde – so heißt es wörtlich in einer Kreispräsentation, die auf Anfrage mitgesendet wurde – „zu gegebener Zeit Beschlussfassungen der politischen Gremien“ treffen. Dazu kann man dem Landrat Matthias Groote und seiner Baudezernentin Jenny Daun nur herzlich gratulieren. Beide haben sich hinter der EWE-Altlastennummer „versteckt“, planen hätten sie längst können. Noch deutlicher formuliert:  Durch die langjährige Planungs- und Gesprächsuntätigkeit dokumentiert das Kreishaus, dass man halt im Denken eher eine „Kontrollbehörde“ statt eine Kreisgestaltung-Instanz ist. Das Beispiel des EWE-Geländes zeigt drastisch auf, dass es offenbar an Ideen, Gestaltungsfähigkeiten, Antrieb und Lösungsorientierung fehlt. Das ist schade – für die mittlerweile schrottigen Häuser und alle Leeraner, die auf eine sinnvolle Nutzung weiterhin warten müssen. Aber eben auch für alle anderen Bürger des Kreises, die durch das Nicht-Agieren signalisiert bekommen, dass man aus dem Leeraner Kreishaus lieber nicht all zu viel Pragmatismus, Vorausdenken und Tempo erwarten sollte. Oder eben erst „zu gegebener Zeit“…

Hier die Fragen und Antworten der Kreisverwaltung zum Sachstand im vollständigen Wortlaut:

a. Hat die Räumung durch die EWE zwischenzeitlich stattgefunden? Wann ist diese ggf. vorgesehen?
Diese erfolgt erst nach erfolgter Altlastensanierung. Dazu gehören auch die nach hinten liegenden Gärten der Häuser Ubbo-Emmius-Straße 11, 13, 19 und 21. Die Sanierung soll in diesem Sommer abgeschlossen werden.

b. Ist der Kreis zwischenzeitlich Eigentümer aller Grundstücke geworden bzw. ggf. welche Flächenanteile stehen noch aus?
Nein, die Flächen II und III gehen erst dann in das Eigentum des Landkreises über, wenn die Altlastensanierung sowie bestehende Mietverträge beendet sind.

c. Nach dem Aus für den Campus: Was sind die aktuellen Planungen des Kreises für die gesamte Fläche?
Das Gelände soll in Abstimmung mit der Kreispolitik und der Stadt Leer entwickelt werden

d. Zu dem Antrag der CDU: Nachdem mehrfach betont wurde, dass die vorhandenen Häuser nicht sanierungsfähig sind: Wann wird der Kreis diese Gebäude abreißen lassen? Wird es nach dem Antrag der CDU dazu eine neue Begutachtung geben/ ist eine politische Beschlussfassung vorgesehen? Die Häuser Nummer 13, 15 und 17 sind aufgrund ihres Zustandes nach Auffassung der Kreisverwaltung derzeit nicht vermietungsfähig; über eine mögliche Sanierung entscheidet die Kreispolitik. Die Nummer 11 ist laut Gutachten ebenfalls nicht vermietungsfähig und zudem nicht sanierungsfähig in wirtschaftlicher Hinsicht.

e. Wie ist die weitere Herangehensweise des Kreises mit Blick auf die Bebaubarkeit der Fläche? (Beschlüsse der Stadt sehen ja aktuell nur Bildungsangebote auf den Flächen vor). siehe Antwort unter c.

f. Ist für den Kreis auch denkbar, Teile der Flächen an die Stadt oder Dritte zu verkaufen, damit die Stadt dann daraus eine innerstädtische Entwicklungsfläche macht? Gibt es dazu Preisvorstellungen der Stadt?
Ist nicht vorgesehen.

g. Ist für den Kreis denkbar, mit der Stadt eine gemeinsame Entwicklungsgesellschaft zu gründen?
Derzeit nicht.

h. Die „planerische Hoheit“ liegt bei der Stadt, der Kreis kann sich vorstellen (so ist zu hören) zusätzliche Verwaltungsgebäude zu bauen. Das deckt sich aktuell nicht mit den Beschlusslagen der Stadt, die die planerische Hoheit hat. Was werden die nächsten Schritte des Kreises sein, um zu einer gemeinschaftlichen Lösung zu kommen?
Siehe Antwort c.

i. Wie ist der Wunsch, zusätzliche Verwaltungsgebäude zu bauen begründet? In welchen Größenordnungen (Flächenbedarf in qm, Anzahl der Büros) wird gedacht? Ist daran gedacht, bei einer Realisierung andere innerstädtische Immobilien, die bisher durch den Kreis genutzt werden, anderweitiger Nutzung (oder einem Verkauf) zu zuführen?
Unabhängig von irgendwelchen Grundstücken, braucht die Kreisverwaltung genügend Platz. Auch darüber soll zunächst mit der Politik gesprochen werden, um ein Konzept zu entwickeln.

 

Holger HartwigDIE KOLUMNE: Die Crux mit einer Kreisbehörde als „Stadtentwickler“