DIE KOLUMNE – Die kommunale Wärmeplanung: Der Startschuss ins Ungewisse

Artikel teilen

Auf geht´s! Die Stadt Leer hat Anfang Februar eines der größten Veränderungsprojekte für die Kreisstadt seit dem 2. Weltkrieg gestartet. Das Interessante daran: Fest steht, dass das Projekt Einfluss auf alle Bereiche der Wirtschaft und auf jeden Haushalt in der Stadt hat. Fest steht auch: Keiner weiß, was sich wie ändert, nur dass sich alles ändern soll. Hinzu kommt: Es fehlt für dieses richtungsweisende Projekt an ausreichend Know-how sowohl im Rathaus als auch bundesweit. Experten sind rar gesät. Worum es geht? Die kommunale Wärmeplanung mit komplett neuen Strukturen für die Energieversorgung.

Zu den Fakten: Am 2. Februar vermeldet die Stadt per Medieninfo, dass die EWE Netz GmbH, eine Tochtergesellschaft des Oldenburger Energieriesen, im ersten Schritt eine Bestandsanalyse durchführt und „hierfür eine Vielzahl an Daten sammeln wird“. Das ist gut so, denn viele andere Kommunen deutschlandweit sind noch nicht so weit. Was jetzt in Leer passiert? Die kommunalen Akteure – wer auch immer damit gemeint ist – werden aufgerufen, Informationen zu den Bedarfen abzugeben. Die vorliegende Kurzinfo der Stadt wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet: Was bedeutet Bestandsanalyse konkret? Wann wird welche Firma und welcher Haushalt wie angeschrieben? Wie wird vorgegangen? Was sagt der Datenschutz? Wieviel Geld kostet diese Planung und wer bezahlt das? Hat die Stadt die personellen Ressourcen? Wie geht es dann weiter? Antworten auf diese Fragen zu bekommen, ist schwieriger als zu erwarten, weil die Akteure mit Verweis auf politische Sitzungen und geplante Mediengespräche wortkarg bzw. schweigsam sind.

Zu den recherchierten Fakten: Die Stadt hat die Wärmeplanung ausgeschrieben. Die EWE Netz hat für 65.000 Euro den Zuschlag bekommen und soll nun innerhalb eines Jahres alle Daten und Fakten zusammentragen und dann Lösungen präsentieren. Dem Vernehmen nach macht sie das aber nicht komplett selbst, sondern diese Aufgabe übernimmt teilweise ein Freiburger Büro namens greenventory GmbH. Jedenfalls schreibt die Firma das auf der Internetseite namens www.waermeplaene.de . Die weiteren drei Schritte – Potenzialanalyse, Szenarien, Handlungsstrategien – müssen bis zum 31. Dezember 2026 – also bereits in 34 Monaten – muss nach aktueller Gesetzeslage abgearbeitet sein. Im Rathaus gibt es insgesamt – was nicht verwundert und auch in allen anderen Verwaltungen so ist – niemanden, der mit so weitreichender Veränderungsplanung in so kurzer Zeit Erfahrung hat. Von Seiten der Stadt Leer begleiten die Klimamanagerin und eine Stadtplanerin das Projekt. Auch hat dort noch niemand Erfahrungen, wie später per Vorgaben direkt in die Wirtschaft eingegriffen werden kann, um die Partner und die Investoren für die neue, in der Verwaltung erarbeitete Energieversorgung der Stadt zu gewinnen. Denn: Historisch gesehen ist diese so weitreichende und am Ende – wenn es dazu kommt – auch dirigistische Herangehensweise auf kommunaler Ebene für Deutschland komplett neu. Bisher regelt vor Ort immer der Markt – und bei der Energie hat es Jahrzehnte gedauert, bis ein Gasnetz in heutigem Ausmaß wirtschaftlich finanziert und gebaut werden konnte.

Bereits vor Beginn der Erfassung der ersten Daten ist Experten diese Komplexität klar. So gibt es für Wärmenutzung – anders als bei Wasser und Abwasser – keinen gesetzlichen Anschlusszwang. Jeder Haushalt kann bisher noch frei entscheiden, ob er an ein Fernwärme- oder Wasserstoffnetz angeschlossen werden will oder auf Wärmepumpe, Pellets oder was auch immer setzt. Was meinen Sie: Werden Investoren nach einer kommunalen Planungsvorgabe in Techniken und Netze investieren, wenn nicht sichergestellt ist, dass ausreichend Abnehmer vorhanden sind? Müssen dann am Ende die Kommunen selbst die Netze bauen? Wenn ja, mit welchem Geld denn? Sind die Kommunen dann die besseren Unternehmer?

Fest steht auch: Aktuell sind aufgrund der politischen Planungsgebote Investitionen der Unternehmen und Privathaushalte in nachhaltige Energieversorgungen fast vollständig eingebrochen. Alle warten ab, was kommt.

Zurück zu Leer und dem Energiekonzept der Zukunft. Fest steht: Industrieunternehmen, die die Stadt mit Abwärme versorgen könnten, gibt es nicht. Ein großes Kraftwerk am Stadtrand wird es wohl auch nicht geben, da Leer in der Raumordnung des Landes dafür nicht vorgesehen ist. Tiefengeothermie rund um die Stadt wird durch Fachleute als unrealistisch angesehen. Was bleibt? Wasserstoff- oder Stromlösungen. Da könnten langfristig die Tennet-Ansiedlung in Leer-Nord, die Stromtrassen vom Meer her oder die Salzkavernen als Wasserstoff-Speicher sehr vorteilhaft sein.

Was das bedeutet? Das, was den Kommunen politisch mit einer lokalen Planung von oben – ohne klare Maßgaben – aufgedrückt wurde und was sie auch noch bezahlen dürfen, ist „Nice to have“ und kann am Ende, wenn das Großprojekt Energiewende nicht schnell genug vorankommt, die Schuldfrage schön „nach unten“ in die Politik verlagern.

Eines ist doch klar: Für alle angedachten Lösungen im kleinen Leer oder anderswo muss es Investoren inklusive Fördermilliarden geben, die neue Netze bauen (die vorhandenen Gasnetze sind für eine unproblematische Umstellung auf Wasserstoff nicht geeignet) oder die grüne Energie nach Leer liefern wollen. Somit ist die geforderte Wärmeplanung zuallererst ein Zeitgewinn für die, die zwar wissen, dass alles anders werden soll mit Blick auf das Klima, aber politisch und wirtschaftlich keinen Plan haben, wie es funktionieren kann. Die wesentlichen Weichenstellungen, wie die flächendeckende Energieversorgung der Zukunft für Leer und andere Kommunen aussieht, werden nicht in Leer oder in den anderen Kommunen getroffen. Wer das glaubt, der glaubt auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.

Grafik: Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg

Holger HartwigDIE KOLUMNE – Die kommunale Wärmeplanung: Der Startschuss ins Ungewisse