DIE KOLUMNE: Leeraner Wohnraumkonzept sieht Fehlentwicklungen und hat „lustige“ Empfehlungen

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Papier ist bekanntlich geduldig. Dennoch sind es vor allem Zukunftskonzepte, die gerne erstellt und gelesen werden. Vor allem, wenn es dabei um ein Gut geht, das jeder Mensch benötigt: eine Wohnung. In Leer ist nun das neue „Wohnraumversorgungskonzept“ durch den Stadtrat verabschiedet worden. Allerdings stellt sich die Frage: Hat es die Politik wirklich gelesen und was lässt sich damit anfangen?

Die insgesamt 46 Seiten des Bremer Fachbüro protze + theiling GbR sind zunächst einmal eines: ein Sammelsurium zahlreicher Daten und Studien zum Wohnungsmarkt allgemein und zur Entwicklung in der Stadt Leer insgesamt. Manches ist nicht nur mit Blick auf das Wohnen interessant. So ist die Bevölkerungszunahme vor allem auf Zuzug von Menschen ohne deutschen Pass, die zudem deutlich jünger sind als der Durchschnitt, stattgefunden hat und der Ausländeranteil überdurchschnittlich gestiegen ist.

Was für den Wohnungsmarkt erwartet wird, füllt einige Seiten. So werde die Zahl der kleineren Haushalte stärker zunehmen als die der größeren. Das wird maßgeblich auf den prognostizierten Anstieg der Altersgruppen ab 60 Jahren („empty nest“-Haushalte, d.h. die Kinder sind ausgezogen) zurückgeführt. Insgesamt wird für die Kreisstadt ein Bedarf von etwa 435 Wohnungen bis 2025 und 355 Wohnungen von 2026 bis 2030 gesehen. Davon sollten zusätzlich zu den aktuell fehlenden 300 Sozialwohnungen mehr als ein Viertel mit Preisbindungen sein.

So richtig spannend sollte es bei den Handlungsempfehlungen werden. Hier ist der Wert eines Konzeptes feststellbar. Im vorliegenden Fall sind es viele Allgemeinplätze, die auch auf andere Kommunen zutreffen oder die mit den Überlegungen für Leer nicht abgeglichen wurden. So wird an keiner Stelle der Ansatz des Stadtbaurates Rainer Kleylein-Klein erwähnt, dass die Kreisstadt in die Höhe wachsen solle. Ebenso sind die Planungen, Richtung Eisinghausen in den kommenden Jahren auf fremdem Grundstück massiv neue Bauflächen – so groß wie 90 Fußballfelder – auszuweisen, an keiner Stelle aufgenommen. Stattdessen heißt es sogar, man solle „den Bau auf der grünen Wiese reduzieren“.

Auch an andereren Stelle liest es sich „lustig“. Bekanntermaßen ist die Stadt Leer finanziell „schwach“ auf der Brust. Da ist es dann verwunderlich, dass die Experten als kurzfristige Lösung vorschlagen, Mietbindungen für preisgebundenen Wohnungen zu erwerben. Oder es maßt sich komisch an, wenn eine Stadt, die mit dem Bahndamm-Grundstück – hier hat übrigens das Konsortium Bauverein Leer/Real Immobilien Moormerland den Vorzug vor der vom Baurat favorisierten Stiftung erhalten – nur noch eine eigene Fläche hat, „preisdämpfende Maßnahmen für den Bodenmarkt umsetzen durch revolvierende Fonds für Baulanderwerb, Konzeptvergaben, oder Erbbaurechte (ca. 10 % Kostenreduzierung möglich)“ empfohlen werden. Zudem solle die Stadt bei Bestandswohnungen des Bauverein Leer „nach Möglichkeit darauf hinwirken, dass die Mieten günstig bleiben, wenn Wohnungen aus der Bindung herausfallen“. Zur Erinnerung: Der Bauverein ist kein Unternehmen der Stadt, sondern eine Genossenschaft. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass aus betriebswirtschaftlichen Gründen die Kaltmieten um 5,5 Prozent steigen.

Was sagt nun die Stadt zu den Vorschlägen? Die Chefin des städtischen Wohnungsbetriebes KVL, Elke Hinrichs, antwortet auf die Nachfrage, inwieweit Teile der Handlungsempfehlungen unrealistisch seien: Ein solches Konzept müsse „verpflichtend vorliegen“, um die Förderprogramme der NBank in Anspruch nehmen zu können“. Für die Politik und auch für alle anderen Akteure sei „dieses nicht verpflichtend, sondern es wird lediglich empfohlen, die Handlungsempfehlungen bei entsprechenden Entscheidungen zu berücksichtigen“.

Um so mehr verwundert es, dass der aktuelle Stadtratsbeschluss die Empfehlung hat, das Konzept den privaten Akteuren des Wohnungsmarktes als Informations- und Handlungsgrundlage zur Verfügung zu stellen. Das ist selten in einem kommunalen Beschluss zu lesen. Aber vielleicht muss das so sein, weil die Fortschreibung des Konzeptes für die aktuell 18.250 Wohnungen im Stadtgebiet etwa 15.000 Euro „verschlungen“ hat. Seit 2016 hatte die Fachfirma für das Zusammenstellen der Daten und Fakten aus den unterschiedlichsten Quellen und ihren Empfehlungen bisher bereits 27.000 Euro bekommen.

Ob das Papier das Geld wert ist? Die Akteure des Leeraner Immobilienmarktes werden das kritisch begleiten und am besten beurteilen können. Zumal sie in dem Konzept auch lesen durften, dass ihre Investitionen – Zitat – „für eine Fehlentwicklung mit neuem hochpreisigem Wohnraum und steigende Mietpreise“ stehen. Zwar wurden seit 2018 etwa 500 neue Wohnungen gebaut, aber eben nicht die, für die das Konzept wirklich Bedarf sieht. Vermietet sind die meisten trotzdem. Man darf also gespannt sein, wer wie den prognostizierten erforderlichen kleine Bedarf an kleinen Wohnungen bedient. Fest steht: Die Stadt und ihre KVL werden das nicht leisten können.

 

So sehen die modernisierte Wohnungen der KVL am Hermann-Tempel in Leer von hinten mit den Balkonen (oberes Bild) und von vorne mit den Eingängen aus.

Holger HartwigDIE KOLUMNE: Leeraner Wohnraumkonzept sieht Fehlentwicklungen und hat „lustige“ Empfehlungen