DIE KOLUMNE – Nach der Protestwelle: Kommt nun der Ehrenamts-Aufschwung?

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Die vergangenen Wochen waren beeindruckend. Die Menschen sind auf die Straße gegangen. In fast jeder Ecke Deutschlands. Eine Protestwelle gegen Rechts – genauer gesagt wohl hoffentlich gegen (Rechts)extremismus. Flagge zeigen für die Demokratie und die Vielfalt in einem bunten Deutschland. Und nun? Gewissen beruhigt und das war´s? Reicht das? Wohl kaum. Protest gegen etwas ist das Eine. Aktiv gestalten, das Andere. Es sind die kommenden Wochen, Monate und Jahre, die entscheiden, wie es weitergeht. Möglichkeiten, sich einzubringen, gibt es vor allem auf lokaler Ebene zuhauf – und die Vereine, Parteien und Hilfsorganisationen können mehr denn je kluge Köpfe und helfende Hände gebrauchen.

Schauen wir als erstes auf die Politik. Was hilft am besten dagegen, dass Menschen in ihrem Denken „extrem“ werden? Zuverlässige Politik, die dafür sorgt, dass die Menschen mit ihrem Leben und den Umständen zufrieden sind. Was bedeutet zuverlässige Politik? Vor allem eines: sich dessen bewusst werden, welche Werte im Miteinander und welche Ziele für die Zukunft den Bürgern wichtig sind. Was es dafür braucht? Engagierte Politiker vor Ort, die wissen, wofür sie aus Überzeugung stehen, die den Dialog suchen, die zuhören, die überzeugen, die begeistern und die dann für die Menschen vor Ort agieren. Agieren, durch die Festlegung klarer Regeln bzw. Gesetze auf höchster Ebene, die dann auch umgesetzt werden. Durch das Gespür, welche Weichenstellungen für als gerecht und sozial wahrgenommene Regeln im Umgang mit sozialen Themen und Integration erforderlich sind. Fühlen sich die Menschen mit ihren Gedanken und Sorgen wahrgenommen, dann begreifen sie, warum es sich lohnt, das wichtigste Instrument einer demokratischen Gesellschaft – die Stimme bei einer Wahl – bedacht einzusetzen. Sie begreifen, dass aus Protest die Stimme zu vergeben, nicht funktioniert. Das Leben zeigt es doch jeden Tag: Wer aus Protest handelt, der bekommt am Ende nie das, was er wirklich möchte. Oftmals sogar das Gegenteil.

Mindestens genauso wichtig wie aktive Menschen in der Politik sind aktive Menschen in allen anderen Lebensbereichen. Menschen, die die Werte des Miteinanders, der Toleranz und Offenheit im privaten Umfeld und am Arbeitsplatz vertreten. Menschen, die im Alltag nicht wegschauen, Dialoge suchen und mit anpacken, wenn es darum geht, das Miteinander zu gestalten. Menschen, für die das Leben und das Gespräch mit anderen wichtiger ist als die Kommunikation und Informationsbeschaffung (vorzugsweise) aus der digitalen Welt. Ein funktionierender Verein mit guter Jugendarbeit, eine aktive Kirchengemeinde mit vielen Angeboten, eine „starke“ Feuerwehr im Ort – überall dort wird durch aktive Menschen ein funktionierendes Miteinander und auch eine funktionierende Integration gelebt. Nur – ganz egal, wo man hinhört: Die Zahl der Mitglieder und der aktiven Ehrenamtlichen geht zurück, mal schneller, mal langsamer.

Die Politik im Kreis Leer hat genau diese Herausforderung erkannt. Mit der Stabsstelle Ehrenamt wird seit vielen Jahren sehr viel gemacht, um für gesellschaftliches und ehrenamtliches Engagement zu begeistern. Keineswegs zum Selbstzweck, sondern im Wissen darum, wie viel in den Gemeinden durch die Vereine gestaltet und bewegt wird. Seit Jahren werden die Ehrenamtlichen in ihrer Arbeit unterstützt und ihr Einsatz wird gewürdigt. Über eine Freiwilligenagentur werden auch Interessierte und Bedarfe zusammengebracht. Dieses Angebot könnte – wenn die Babyboomer bald in großer Zahl in Rente gehen und neue Aufgaben suchen – richtig spannend werden. Zudem passt es zeitlich wohl besser denn je, dass gerade jetzt zum dritten Mal nach 2017 und 2020 eine Umfrage mit dem Titel „Freiwilligensurvey“ gestartet wird. Hier soll bis Ende Februar ermittelt werden, wie es um das Ehrenamt in der Region steht. Die Ergebnisse werden dann genutzt, um gezielt durch von der Politik bereit gestelltes Geld Menschen und ihr Engagement, was bekanntlich weit über den einfachen Protest hinausgeht, zu unterstützen.

Kurzum: Wenn aus der Protestwelle dieser Tage ein Aufschwung des Ehrenamtes und des Dialoges sowie mehr Miteinander im Alltag folgt, dann wird die Bewertung der ersten Wochen des Jahres 2024 im Rückblick vollkommen anders sein als nur „massenweiser Protest gegen Rechts“. Erst dann hat ein Hinterzimmer-Treffen, dass diese Protestwelle durch ein Hand-in-Hand von Teilen der Medien und Politik bekanntlich hervorgerufen hat, eine Wirkung erzeugt – nur halt nicht die, die sich die Teilnehmer des Treffens in Potsdam vielleicht gewünscht hätten. Und das wäre richtig gut so.

Holger HartwigDIE KOLUMNE – Nach der Protestwelle: Kommt nun der Ehrenamts-Aufschwung?

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