DIE KOLUMNE – Zollhausverein: Totgesagte leben länger – und wollen 100 Prozent

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Es geht um schlappe 4.393 Euro. In Relation zum millionenschweren Haushalt der Stadt Leer ein Betrag, der kaum auffällt. Und dennoch kann der Ausschuss für Wirtschaft, Tourismus und Kultur der Ledastadt in der kommenden Woche in seiner Sitzung mit seiner Entscheidung über Fördergeld für den Zollhausverein ein richtungsweisendes Signal für alle Ehrenamtlichen in der Kreisstadt setzen, wenn auf eine 20-prozentige Kürzung verzichtet wird.

Warum? Zunächst ein kleiner Rückblick. Für den Zollhausverein gilt der Satz „Totgesagte leben bekanntlich länger“. Der Verein hat seit seiner Gründung 1993 viel erlebt. Viele Jahre wurde das Konzept des Vereins in Frage gestellt, immer wieder die Konkurrentin Gerda Basse (sie hatte im Wettstreit der Konzepte gegen den Verein beim Verkauf des Hauses verloren) ins Spiel gebracht und die Sanierung des historischen Gebäudes schien den Verein zu überfordern. Sechsstellige Kredite der Sparkasse halfen. Vor allem die Partys, die weniger mit Kultur zu tun hatten, mussten die Kassen füllen und waren umstritten. Höhepunkt der „Unruhen“ waren in den Jahren 2008/2009 unter Führung eines Leeraner Kaufmanns Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Schwarzarbeit, nicht durchgeführte Mitgliederversammlung, Gerüchte und Anschuldigungen gegen die damalige Geschäftsführerin Birgitta Heller und – nachdem es monatelang medial bestritten wurde – ein Finanzloch von etwa 800.000 Euro. Das alles ist lange her.

Seit der Krise hat sich viel getan. Das Team um den Vorsitzenden Eerke-Ivo Bruhns hat „aufgeräumt“. Seit Januar 2021 ist der Verein, der mittlerweile 230 Mitglieder mit steigender Tendenz hat, gemeinnützig. Das ist für Vereine eigentlich „normal“, beim Zollhausverein jetzt endlich auch. Ein deutliches Signal, dass alles seine Ordnung hat und vor allem auch die Möglichkeit, Fördergelder in größerem Stil für gezielte kulturelle Angebote und für die weitere Gebäudesanierung einzuwerben. Seit Mai 2022 ist zudem die Gastronomie in die Zollhaus Gastronomie GmbH ausgegliedert. Auch das sorgt für Klarheit. Dass beim Verein seit Jahren nun alles in den richtigen Bahnen läuft, zeigen weitere Aspekte.

Die Schulden konnten um etwa 75.000 Euro auf immerhin noch 531.000 Euro in 2021 reduziert werden. Das Rechnungsprüfungsamt des Landkreises Leer hat die Finanzen, die ein Wirtschaftsprüfer professionell aufarbeitet, regelmäßig durchleutet. Ziel dabei: Für den Kreis, der auch jährlich einen Zuschuss gibt, herauszuarbeiten, wie die wirtschaftliche Entwicklung des Vereins zu beurteilen ist. Ein wenig überraschendes Fazit dabei: Der Zollhausverein wird auch weiterhin auf Zuschüsse angewiesen sein und die gesamtwirtschaftliche Situation „muss immer noch als kritisch bezeichnet werden“. Der Verein sei weiterhin nicht in der Lage, seinen gesamten Zahlungsverpflichtungen eigenständig nachzukommen. Im Klartext: Das Kulturangebot und das historische Gebäude können nur dann weiter existieren, wenn Kreis und Stadt, die seit mehr 2003 bzw. 2004 regelmäßiger Geldgeber sind, weiter zu dem Verein und seinen „Leistungen“ stehen. Von Seiten des Kreises ist nicht zu vernehmen, dass die jährlichen 20.000 Euro nicht fließen werden.

Die Leeraner Stadtratspolitiker tun gut daran, nach vielen Jahren vorgenommener Kürzung en die nun aktuelle Reduzierung der Förderung des Vereins zu überdenken. Das wäre ein Signal an den Vorstand, der in schweren Zeiten Verantwortung übernommen hat, dass er einen richtig guten Job macht. Es wäre ein Signal, dass das Zollhaus mit seinen Angeboten für die Kultur in der Stadt ein Leuchtturm ist. Es wäre zusätzlicher Rückenwind.

Es ist keine zeitgemäße Politik einer Stadt, Ehrenamtlichen durch eine – wie beim Zollhaus traditionell – gewachsene Kürzung das Leben unnötig schwerer zu machen. Denn sowohl für die Ehrenamtlichen des Zollhauses und der anderen Vereine gilt: Was ihre Arbeit für das Lebensgefühl leistet, ist erst spürbar, wenn es das Angebot nicht mehr gibt. Deshalb gilt: Bei allem Fokus auf Nachhaltigkeit, Stadtentwicklung, Bildung etc. – vergesst die Vereine nicht. Sie benötigen im Verhältnis – siehe Zollhaus – nur kleines Geld, das große Wirkung entfaltet.

Es ist an der Zeit, dass die Vereinsförderung insgesamt auf den Prüfstand kommt, ein nachhaltiges Konzept bekommt und auf stabilere Beine gestellt wird. In allen Bereichen. Möglichkeiten dafür gibt es ausreichend. Oder können Sie erklären, warum die Vereine, die für die Menschen der Stadt Angebote machen, aus Tradition teilweise hohe dreistellige Beträge zahlen müssen, weil sie ein Grundstück der Stadt in Erbpacht haben, pflegen und dem Allgemeinwohl als gemeinnützige Organisationen zugänglich machen? Jeder kleine Euro Entlastung wird Wirkung haben – und dafür sorgen, dass sich auch weiterhin Menschen finden, die in Vorständen mitgestalten. Anstelle von Kürzungsentscheidungen 100 Prozent Unterstützung für das Ehrenamt, in allen Fragen, bei allen Themen– das wäre ein guter Schritt für die Nachhaltigkeit der Lebensqualität in Leer.

  • In der Rubrik „Journalistenleben“ können Sie nachlesen, wie es damals in der Krise des Vereins aus Sicht des recherchierenden Redakteurs zuging.

Die Schuldenkrise des Leeraner Zollhauses

Holger HartwigDIE KOLUMNE – Zollhausverein: Totgesagte leben länger – und wollen 100 Prozent