Die Schuldenkrise des Leeraner Zollhauses

Artikel teilen

Es ist eine der Geschichten, die sich über einen langen Zeitraum hinzieht. Die Gerüchte über eine finanzielle Krise, Vorwürfe der Schwarzarbeit etc. beim Leeraner Zollhausverein halten sich 2009 hartnäckig, also ist es Zeit, der Sache auf den Grund zu gehen. Es wird eine spannende Aufgabe, weil sich das Thema auch zu einem Schlagabtausch zwischen zwei Medien entwickelt. Auf der einen Seite „Ostfriesland Kompakt“, auf der anderen Seite eine Tageszeitung. Fast immer, wenn ich mich dem Thema widme, folgt wenige Tage später in der Tagespresse auch ein Beitrag. Nicht selten sind die Texte inhaltlich sehr gegensätzlich…

Los geht´s mit der Berichterstattung im Juni 2009. Der Verein ist in das Visier der Fahnder geraten, die Staatsanwaltschaft ermittelt unter Einbeziehung der Steuerfahndung. Mit den Informationen konfrontiert, weist die damalige Geschäftsführerin Birgitta Heller, alle Vorwürfe zurück. Der Vorwurf der Schwarzarbeit – beispielsweise rund um die damals hoch umstrittenen Partys, die in Konkurrenz zu kommerziellen Anbietern in der Region stehen, entbehre jeder Grundlage. Der Kreis Leer bestätigt, dass zugesagte Zuschüsse bis auf weiteres nicht gezahlt werden, bis ein neues Finanzierungskonzept für den Verein vorgelegt werde. Bei den weiteren Recherchen stellt sich heraus, dass das Zollhaus im Hintergrund insgesamt zeitweise bis zu drei Vereine gehabt hat und der Trägerverein seit Jahren keine Mitgliederversammlungen gemacht hat. Der Forderung in einem Kommentar, für totale Transparenz hinsichtlich Finanzen und Vorwürfen zu sorgen, kommen die Geschäftsführerin und der damalige Vorsitzende des Zollhausvereins, Fritz-Rudolf Brahms, nicht nach. Auch die Forderung nach einer transparenten Mitgliederversammlung wird nicht nachgekommen, stattdessen wird, teils öffentlich, aber auch in anderen gesellschaftlichen Runden gerne behauptet, dass es sich um einen ganz schlechten Stil von Journalismus handelt.

Das Thema ist nun angeschoben – und in darauffolgenden Wochen laufen weitere Hintergrundinformationen, meist vertraulich, auf, die deutlich machen, wie es um den Verein steht. Bitterster Fakt dabei: Der Verein ist mit etwa 800.000 Euro hoch verschuldet. Auch diese Information wird durch die Vereinsverantwortlichen lange nicht bestätigt, während die Staatsanwaltschaft auf Anfragen immer wieder ihre laufenden Ermittlungen bestätig. Viele Schlagzeilen folgen, bis Anfang Dezember 2009 erstmals seit Jahren wieder eine Mitgliederversammlung ansteht.

Damit uns als Redaktion an diesem Abend, der hochinteressant werden dürfte, nichts „durch die Lappen“ geht, entscheiden wird, mit vier Kolleginnen und Kollegen vor Ort zu sein. Etwa 20 Mitglieder hören nun, wie es um den Verein steht. Der Wille zur Transparenz ist erkennbar – in vielerlei Hinsicht. Erstmals werden auch Zahlen öffentlich genannt. Die 800.000 Euro werden bestätigt, so wurde 2007 ein Fehlbetrag von 453.000 Euro ausgewiesen. Was genau wie geschehen ist, lässt sich nicht genau nachvollziehen. Ein Zitat des Abends liefert der damalige Kassenprüfer Werner Oldigs: „Ein Prüfung der tatsächlich erzielten Einnahmen durch Eintrittsgelder und dem tatsächlich erzielten Einnahmen aus dem Getränkeverkauf bei Veranstaltungen ist den Prüfern nicht möglich, weil diese nicht über ein kontrolliertes Kassensystem erfasst werden.“ Das sei bemerkenswert, weil pro Jahr bei etwa 2.500 Transaktionen rund 400.000 Euro in bar umgesetzt wurden. Und wie reagiert der Vorsitzende am selben Abend darauf? Brahms berichtet, dass sein Unternehmen – multi – dem Verein eine Registrierkasse geschenkt hat. Zudem wird an dem Abend entschieden, dass ein externer Controler eingesetzt wird, der sich um die Finanzen des Vereins kümmern soll. Die langjährige Geschäftsführerin Heller war zwischenzeitlich bereits auf der kaufmännischen Verantwortung ausgeschieden und nur noch für den Kulturbereich zuständig.

Das Fazit dieses bemerkenswerten Abends ist aus journalistischer Sicht beruhigend: Keine veröffentlichte Information war sachlich falsch, es muss nichts zurückgenommen werden. Auch 2010 gibt es weitere Schlagzeilen. So muss sich der Verein einem Pfändungsbeschluss durch das Finanzamt erwehren und es dauert noch, bis nach turbulenten Jahren wieder Ruhe einkehrt.

Das allerdings hätte auch überrascht, denn während der Recherchen in den Monaten zuvor hatte unter anderem ein großer Aktenordner mit Kopien den Weg in meine Hände gefunden. Darin waren viele Unterlagen zu finden: handschriftliche Quittungen für Barauszahlungen an Thekenkräfte, Lohn- und Gehaltsunterlagen von den offiziell im Zollhausverein beschäftigten und vieles mehr. Diese Unterlagen sind – so kann ich es ja heute, viele Jahre später schreiben – ordnungsgemäß, aber damals anonym an die Staatsanwaltschaft gegangen.Fazit: Eine der spannendsten Recherchen, die aufzeigten, welche Verantwortung und welche Gefahren in der Führung eines Vereins liegen können und was passiert, wenn die Regularien nicht immer im Fokus stehen. Insgesamt bin ich froh, dass das Zollhaus bis heute eine Bereicherung für die Kulturlandschaft der Stadt Leer und heute in vielerlei Hinsicht besser als vor Jahren aufgestellt ist. Den Betrieb des Hauses inklusiver aller Gebäudekosten wirtschaftlich zu gestalten, ist in Pandemie-Zeiten eine noch größere Herausforderung geworden. Dem Vorstand, der die Vereinsarbeit wie viele andere Engagierte in dem Haus ehrenamtlich leistet, weiterhin viel Freude, Kraft und Motivation, damit die Kulturstätte niemals wieder in schlagzeilenträchtige Zeiten wie 2009 kommt.

Holger HartwigDie Schuldenkrise des Leeraner Zollhauses