DIE KOLUMNE: Zu späte kommunale Wärmeplanung lässt Hauseigentümer im Regen stehen

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Wärmepumpe, Geothermie, Fernwärme, Wasserstoff statt Gas durch die vorhandenen Netze – was macht ab 2024 im Kreis Leer das Rennen, wenn es um die Wärme in den heimischen vier Wänden geht? Für Hauseigentümer kann die Devise nur lauten: Abwarten und Tee trinken. In den Rathäusern und in der Kreisverwaltung wird in den nächsten Monaten die Post abgehen müssen.

Warum? Die Antwort liefern das Niedersächsische Klimaschutzgesetz und weitere klimarelevante Gesetze, die seit Mitte 2022 gelten. Den Städten und Gemeinden ist mit Blick auf die Klimaziele ein großes Paket an neuen Aufgaben aufs Auge gedrückt worden. Schon für 2022 mussten Energieberichte erstellt werden und in den nächsten Jahren müssen folgen: Klimaschutzkonzepte (bis Ende 2025), Entsiegelungskataster (bis Ende 2028) und eine kommunale Wärmeplanung (bis Ende 2026). Diese Wärmeplanung ist es, die ganz entscheidend die Richtung vorgeben wird, auf welchem Weg es im Winter heimelige Wärme ohne „Tontopf-Heizungen“ geben wird.

Den Weg, den die Rathäuser bestreiten müssen, wurde bisher noch nie gegangen – und am Beispiel der Stadt Leer zeigt sich, dass man zwar weiß, was man machen muss, aber die konkreten Schritte noch zu gehen sind. Bis Anfang 2024 jedenfalls wird kein Immobilieneigentümer erfahren, ob die Lösung der nächsten Jahrzehnte vielleicht ein neues Fernwärmekonzept oder Wasserstoff statt Gas über den vorhandenen Hausanschluss sein wird.

Wie ist der aktuelle Stand der Dinge? Viel Papier ist schon beschrieben worden– jedenfalls lassen das die langen Antworten auf die Fragen zu diesem Themenkomplex erahnen. Kürzer zusammengefasst mit Blick auf die kommunale Wärmeplanung für Leer steht fest, dass nichts fest steht. Zitat: „Alle Fachbereiche und Fachdienste sind derzeit in der Diskussion und werden ihren gesetzlichen Ansprüchen gerecht werden.“ Das Thema werde intensiv diskutiert. Konkret zur Wärmeplanung wird geantwortet: „Die kommunale Wärmeplanung koordiniert im gesamten Stadtgebiet die Deckung der zukünftigen Wärmebedarfe durch vor Ort verfügbare und nachhaltige Wärmequellen. (…) Die Verwaltung ist angehalten, interdisziplinär an diesem Projekt zu arbeiten und die Ziele für eine kommunale Wärmeplanung auf unterschiedlichen Ebenen zu definieren (…) Die Verwaltung hat Kontakt zu vergleichbaren Kommunen in Niedersachsen aufgenommen und wird auf Grund der gewonnenen Erkenntnisse entsprechend agieren.“ Dann wird skizziert, wie das Thema über vier Phasen angegangen wird. Zur Bürgerbeteiligung heißt es: „Im Rahmen der Grundlagenermittlung sowie auch im Planungsprozess, zum Beispiel in einem Bauleitplanverfahren, werden Bürger und Unternehmen mitgenommen.“ Inwieweit Partner, beispielsweise die EWE oder die eigenen Stadtwerke, in die Konzeption einbezogen oder gezielte Aufträge erhalten, ist noch offen. Es soll aber auf externe Büros zugegriffen werden. Dafür sind bis zu 70.000 Euro Kosten eingeplant.

Und wie sieht es mit dem zweiten zentralen Akteur für die Region beim Thema Wärmeplanung und -wende, der EWE aus Oldenburg, aus? Auch von dort folgt auf konkrete Fragen als Antwort „Meterware“, d.h. viele grundsätzliche Darstellungen. So heißt es: „Ziel ist es, die individuelle Energiewende voranzutreiben, ob im privaten oder auch im unternehmerischen und öffentlichen Bereich. Dafür bietet EWE grüne Lösungen an“. Genannt werden grüne Energie, Photovoltaikanlagen und Stromspeichersysteme zum Kauf und zur Pacht, Wärmepumpen zur Pacht bzw. im Contracting, Mobilität- und Lichtkonzepte, Wasserstoff-Lösungen für Industrie und Schwerlastverkehr und Quartierslösungen mit dezentraler, leitungsgebundener Wärmeversorgung, auch mit klimaneutralem Energieeinsatz wie Biomethan oder über Wärmepumpen. Mit Blick auf die kommunale Wärmeplanung schreibt der Energieriese, an dem viele Kommunen der Region Anteilseigner sind: „Ziel ist es, mit der EWE Netz flexible und technologieoffene Wärmepläne zu erstellen und dabei Klimaneutralität und Versorgungssicherheit miteinander zu verbinden.“ Man stehe als Dienstleister für die Kommunen selbstverständlich bereit und realisiere mit der Stadt Cloppenburg eine Wärmeplanung. Nach einer einjährigen Projektlaufzeit werde eine Transformationsstrategie mit Maßnahmenkatalog vorliegen, von der in den nächsten fünf Jahren mindestens fünf Maßnahmen umgesetzt werden sollen.

Regionsweit stellt sich vor alle die Frage: Wie kann es grundsätzlich mit dem vorhandenen Gasnetz weiter gehen? Ist – sofern ausreichend vorhanden – die Nutzung von Wasserstoff als Energierohstoff möglich? Ja, so scheint es. In das bestehende Erdgasnetz könnten heute bereits bis zu 20 Volumen Prozent Wasserstoff eingespeist werden. Das sei für Infrastruktur und eine Vielzahl der Gasanwendungen kein Problem. Zitat: „Das Erdgasnetz ist auch schon heute für den Transport von 100 Prozent Wasserstoff geeignet.“ Aber eine Umstellung sei nicht ohne weiteres möglich, da „kaum ein Endgerät mit 100 Prozent Wasserstoff statt mit Erdgas betrieben werden kann.“

Übrigens sei am Rande noch erwähnt: Die EWE hat bei der kommunalen Wärmeplanung ganz nebenbei einen Vorteil. Sie kennt die Netze und die (meisten) Verbräuche aufgrund der hohen Kundenzahl. Theoretisch ist sie gesetzlich zur Weitergabe kritischer Infrastrukturdaten verpflichtet – allerdings steht das wiederum aktuell im Kontrast zu geltenden Datenschutzbestimmungen, wie die Stadt Leer schreibt. So viel zum Thema freie Märkte bzw. Marktmacht.

Fazit: Was mit der Klimawende auf alle Kommunen „zurollt“, wird im Paket eine der größten zeitlichen und fachlichen Herausforderungen der letzten Jahrzehnte. Ein Klimaschutzmanager, der in Leer bald sein Büro beziehen wird, reicht da allein nicht aus. Insgesamt gilt: Alles ist kommunal möglich. Nichts Genaues weiß man derzeit. Außer – wenn überhaupt – die abgehobene Ministerialstruktur in Berlin. Aber die müssen ja auch nicht den „Praxistest“ bestehen. Ganz im Gegensatz zu den privaten Häuslebauern oder Eigentümern. Sie werden bis mindestens 2026 im Regen stehen gelassen. Sie müssen in etwas weniger als sieben Monaten entscheiden, wie ihre ganz persönliche langfristige fossilfreie Wärmeplanung aussieht – und das, ohne zu wissen, was vor Ort in Zukunft aus wirtschaftlichen und ökologischen Aspekten „angesagt“ ist.

Holger HartwigDIE KOLUMNE: Zu späte kommunale Wärmeplanung lässt Hauseigentümer im Regen stehen