Ein Konzertabend zum „Mitgrooven und Mitschunkeln“

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  1. Konzert  2023/24: Lichtspielorchester (Leitung Stefan Geiger) und Tanja Tetzlaff, Violoncello

Von Barbara Fischer*

LEER Ein wenig musste man sich beim Verein junger Kaufleute (VJK)in Leer an den Klang des Lichtspielorchesters gewöhnen –  ein Blasorchester hört man auf Konzertbühnen eben nicht allzu oft. Doch es hat gegenüber der Streicherfamilie einiges an charaktervollen Klängen zu bieten: in der Tiefe von einer grummelnden Tuba über brummende Hörner und dem aufpeppenden sonoren Ton der Fagotte hin zu singenden Oboen im Verbund mit Klarinetten und in der Höhe bekrönenden silberhellen Querflöten. Da ergeben sich eine schwelgerische Tonsprache und große Gefühle fast von selber, denn wer könnte dem samtenen Schmeicheln einer Oboe widerstehen oder sich nicht vom pompösen Auftreten mehrerer Hörner einfangen lassen?

Das wussten auch Komponisten wie Richard Strauss und Jean Francaix. Strauss‘ Suite B-Dur führte mit inhaltlich klar formulierten Sätzen bestens in die Thematik „Originalmusik für Bläser“ mit ihren vielfältigen Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten ein. Das Spiel mit instrumentenspezifischen Hörerwartungen sowie deren Erfüllung, etwa im elegischen Andante Es-Dur, beherrschte neben Strauss auch Jean Francaix. Seine fünf lebensfrohen Stücke für Violoncello und acht Bläser strotzten vor schönen Klangideen, vom Mond im Stimmungstief über eine sacht vor sich hin dümpelnde Berceuse hin zum finalen „Mouvement perpetuel“, das im Vergleich mit Rimsky Korsakovs „Hummelflug“ zwar etwas langsamer war, aber deutlich mehr musikalischen nebst Klangwitz zu bieten hatte, wie ihn die bravorösen Mitglieder des Lichtspielorchesters auf ihren Fagotten, Klarinetten und Co mitbrachten.

Wie passte denn ein Cello zu so viel bläserischer Übermacht? Kurz: es war eine wunderbare Symbiose, in der beide Seiten nahmen und gaben bis hin zu klanglicher Verschmelzung, denn das Cello mit ebenfalls sonorer Tiefe und singender Höhe ging zuweilen völlig im Bläserklang auf. Tanja Tetzlaff atmete Gemeinsamkeit stiftend mit den anderen; auch in Hinsicht auf Interpretation zogen alle unter der agilen, ausladenden und „anschiebenden“ Führung des Dirigenten und Posaunisten Stefan Geiger an einem Sinn- und Lust-auf-mehr bringendem Strang. Intonation ist bei Bläsern immer ein Thema und für den einzelnen eine sehr delikat zu behandelnden Angelegenheit; die anfänglichen Unsauberkeiten legten sich schnell, und das Ensemble fand zu einem homogenen warmen Gesamtbild mit orchestraler dynamischer Bandbreite. Für Friedrich Guldas Cellokonzert op.129 gesellten sich noch Percussion, Kontrabass und Gitarre zum Orchester. Diejenigen im Publikum, die das Werk kannten, schmunzelten schon vorher; die anderen erlebten eine humorvolle Überraschung, die letztendlich das Publikum ordentlich in Stimmung brachte und für ausgelassenen Beifall aller Art sorgte. Zwischen Bigband-Sound, Rock und alpenländischer Gemütlichkeit übergangslos hin- und her springend, animierten die Musiker zum Mitgrooven bzw. -schunkeln. Ein idyllischer Heimatabend mit weihevollen tiefen Bläsern und Cello-Süße fehlte ebenso wenig wie ein Ländler mit Alphorn-Imitation. Dann als Vorgeschmack auf den fulminanten Schluss: großer Cello-Auftritt in der Cadenza zwischen den Welten, virtuos, abgehoben, exaltiert, modern, wow. Kann ein Cello nicht? Doch, kann es wohl, und mit Verve legte sich Tanja Tetzlaff in die rockige wie in die liebholde Kurve. Doch es ging noch mehr: im Finale mutierte das Lichtspielorchester zur Zirkusblaskapelle mit Marsch und großem Wummtata. Manege frei für Cello und Consorten! Bei allem (musikalischen) Spaß: ohne die nahezu artistischen Fertigkeiten Tetzlaffs, ohne das Lichtspielorchester, das ebenso wie die Solistin perfekte Haken in Sachen Stilwechsel schlug, ohne die Bereitschaft aller Musiker, den Gulda’schen Humor so charmant und gekonnt umzusetzen, wäre die Musik ein platter Witz und das Schmunzeln ein gequältes Lächeln gewesen. So aber gab es viele fröhliche Gesichter am Ende dieses in schönster Erinnerung bleibenden Abends.

* Hinweis: Diese Konzertkritik wird auf Hartwig am Sonntag veröffentlicht in Kooperation mit dem Verein Junger Kaufleute. Informationen zu dem Verein unter www.vjk-leer.de

Holger HartwigEin Konzertabend zum „Mitgrooven und Mitschunkeln“