HARTWIG am MITTWOCH: Von der dreckig-schönen Einkaufsstadt Nummer 1

Artikel teilen

HARTWIG am MITTWOCH ist eine Kolumne, die immer zuerst mittwochs in der Ostfriesland-Ausgabe der Nordwestzeitung und der Emder-Zeitung erscheint.

Egal, woher die Menschen kommen: Wenn sie das erste Mal in Leer zu Besuch sind, dann sind sie begeistert. Von der tollen Altstadt, dem attraktiven Ensemble rund um das Rathaus, den Hafen mit der schönen Uferpromenade, der kleinen „Hafencity“ Nesse und der langen Fußgängerzone. Viele schöne Ecken hat die Ledastadt – nur so genau hinschauen darf man an einigen Stellen leider nicht mehr.

Das fängt an mit ganz viel Müll. Gut, nicht in der Fußgängerzone, das sorgen die fleißigen Hände der Stadtwerke für Sauberkeit. Aber wer etwas abseits unterwegs ist, der kann den Müll nicht übersehen. Das geht weiter über viele ungepflegte Vorgärten, von dem hochstehenden Unkraut auf öffentlichen Wegen und an den Straßen mal ganz zu schweigen. Aber offenbar haben sich viele Menschen an diese Zustände gewöhnt. Das Bild, dass sich jemand bückt, um (fremden) Müll in einen Papierkorb zu legen, ist schon lange eine Seltenheit geworden. Auch Müllsammelaktionen in der Stadt, wie sie vor vielen Jahren beispielsweise der Bauverein Leer zum Frühjahrsbeginn organisiert hat, sind Geschichte. Gut, es sind noch keine Verhältnisse, über die man sich aufregen muss. Schön und attraktiv für Urlauber, die ihr Geld in der Stadt ausgeben, geht aber anders.

Apropos Urlauber. Die bekommen auch auf andere Weise einen prickelnden Eindruck von der Ledastadt. Beispiele gefällig? Auf dem Platz an der Großen Bleich ist eine Infotafel für Wohnmobilisten aufgestellt. Infotafel? Aktuell wohl weniger. Denn sie ist mit einem blauen Plastiksack zugeklebt. Das sieht echt einladend aus. Ja und wer dann zu Fuß in der Stadt ist und sich orientieren möchte, der freut sich, dass es Google Maps etc. gibt. Die Wegweiser sind so „vergilbt“ – beispielsweise am Ernst-Reuter-Platz -, dass man nicht mal mehr ansatzweise erahnen kann, was wo zu finden ist. Und die Informationstafeln, die über die Schönheiten und die Historie der Stadt informieren sollen – na ja, die sind auch nicht im besten Zustand oder müssten dringend mal gereinigt werden, um wieder lesbar zu sein. Beispiel gefällig? Die kleine blaue Tafel an der Kaaks Pütte, dem „Geburtsort“ der Stadt. Und auch andere historischen Orte, wie die Krypta auf dem Friedhof am Westerende, werden vernachlässigt. So ist die Krypta nicht mehr zugänglich ist, weil sie immer baufälliger wird. Muss wohl so sein.

Wer dann in der Fußgängerzone der „Einkaufsstadt Nummer 1“, wie sich Leer ja selbst gerne nennt, unterwegs ist, der freut sich, dass ein Teil modern und attraktiv neugestaltet wurde. Gut, die Graffiti-Beschmierungen gehören wohl mittlerweile überall dazu. Schöner werden sie dadurch nicht. Aber dann gibt es ja mittlerweile auch immer mehr Schaufenster von Geschäften, die bedauerlicherweise leer stehen. Attraktiv sind die ja grundsätzlich nicht. Aber muss es sein, dass sie mittlerweile sogar mit einem Bauzaun mit großer Werbung für ein Immobilienunternehmen zugestellt werden? Zahlreiche weitere Beispiele lassen sich finden, wenn man mit offenen Augen durch die dreckig-schöne Ledastadt geht.

Wer mit offenen Augen unterwegs ist, der findet auch schöne neue Blumenkübel, die gut anzusehen sind und zur Verkehrsberuhigung dienen oder eben farbenfroh gemalte Fahrradstreifen. Oder ausgewählte Beete, so wie an der fußgängerfreundlichen Querung der Ledastraße, wo einstmals die große Linde stand. Gut, dass Urlauber durch die die schönen Dinge, wie die gelungene Architektur und die perfekte Lage am Handelshafen, hervorragend „geblendet“ werden. Für die Leeranerinnen und Leeraner wäre es hingegen gut, genauer hinzusehen und jeder für sich einen Teil zur Pflege und Schönheit beitragen würde. Jeder Handgriff und jeder Hinweis an die Stadtverwaltung sind da hilfreich.

Ach ja, wer sich nun noch vorstellt, dass im Zuge des Sofortprogramms „Perspektive Innenstadt!“, das als Folge der Corona-Krise durch das Land Niedersachsen aufgelegt wurde, am Ernst-Reuter-Platz ein Sandstrand entsteht, dem wird ganz anders. Wie mag es da dann wohl aussehen, wenn im Sommer gute Laune und Partys anstehen? Und wer sammelt jeden Morgen die Glasscherben auf? Vielleicht ist ein Sandstrand dann doch keine wirklich so gute Idee.

Holger HartwigHARTWIG am MITTWOCH: Von der dreckig-schönen Einkaufsstadt Nummer 1