Familienunternehmen schreibt 2020 über 181 Mio. Euro Verlust – Umsatz bricht um eine Milliarde Euro ein – Auslastung in Papenburg sinkt auf 45,7 Prozent – Eigenkapital schrumpft
PAPENBURG Das Ausdocken des Disney-Schiffs mit einem kleinen Feuerwerk sorgte am Freitag für schöne Bilder bei der Meyer Werft in Papenburg. Am gleichen Tag präsentierte die Werft auch Fakten: Der am Freitag (11. Februar 2022) veröffentlichte Jahresabschluss für den Werftkonzern MEYER NEPTUN dokumentiert die gravierenden Auswirkungen der Corona-Pandemie. Die von Senior-Chef Bernard Meyer am 22. Juni 2021 unterzeichnete Bilanz für den Konzern – OHNE den Standort Turku in Finnland, der in der Konzernbilanz nicht berücksichtigt ist* – dokumentiert, was die Pandemie für das Traditionsunternehmen bedeutet: Einen Verlust von 181,720 Millionen Euro nach Steuern (Vorjahr: Gewinn 16,832 Mio. Euro). Das sind 110 Mio. Euro mehr, als die Werft Anfang 2021 selbst prognostiziert hatte. Der Umsatz des Schiffbaukonzerns mit Sitz in Senningerberg, einem 1700-Seelendorf in Luxemburg, ist im Vergleich zu 2019 um fast eine Milliarde Euro auf 1.671 Mrd. Euro zurückgegangen (2020: 2,673 Mrd. Euro). Trotz milliardenschwerem Umsatzrückgang und Millionenminus bleibt Werft-Seniorchef Bernard Meyer optimistisch. Der Jahresabschluss endet mit der positiven Formulierung. Auch wenn die Auslastung der Werft Stand heute bis 2025 auf 45,7 Prozent sinken wird, heißt es: „Grundsätzlich sieht die Geschäftsführung wesentliche Chancen der zukünftigen Entwicklung beim Passagieraufkommen im europäischen und asiatischen Markt. Die bislang erzielten Wachstumsraten werden dabei in den kommenden Jahren jedoch nicht erreicht werden.“Beim Blick in die Details der Bilanz wird deutlich, an welchen Stellschrauben die Konzerngeschäftsführung im ersten Corona-Jahr drehen konnte und wo auch für 2021 und die Folgejahre Veränderungen zu erwarten sind.
Leiharbeit um mehr als 80 Prozent reduziert
Kosten für Mitarbeitende: Die Personalkosten (Löhne, Gehälter, Sozialabgaben) für eigenes Personal konnten 2020 von 320,21 Mio. Euro auf 274,35 Mio. Euro gesenkt werden. Bei der Mitarbeiterzahl hat sich im ersten Pandemiejahr wenig getan. Zum 31. Dezember 2020 waren insgesamt 4.563 (Vorjahr: 4.615) Mitarbeitende (davon ca. 600 in Rostock bei NEPTUN WERFT und NEPTUN Logistik) beschäftigt. Die Zahl der Auszubildenden betrug zum Jahresende 248 (Vorjahr: 243). Das Jahr sei durch den Einsatz von Kurzarbeit, aber auch durch die Reduzierung des eingesetzten Personals geprägt gewesen. Die Werft habe sich schnell auf diese neue Situation eingestellt. Befristete Verträge wurden nicht verlängert und die Leiharbeit wurde um mehr als 80 Prozent reduziert.
Material- und externe Kosten um 660 Mio. Euro reduziert
Kosten für Materialaufwand: Insgesamt konnten die Ausgaben in diesem Bereich um etwa 660 Mio. Euro reduziert werden (2020 = 1,26 Mrd. Euro, 2019 = 1,92 Mrd. Euro)
- Kosten für Material: Hier ist der stärkste Rückgang zu erkennen, was leicht zu erklären ist, da das Auftragsbuch gestreckt wurde und die Gesamtleistung der Werft – Auslieferung von Neubauten – sich stark reduziert hat. Statt 1,548 Mrd. Euro stehen hier „nur“ noch 1,016 Mrd. Euro zu Buche.
- externe Aufwendungen: In diesem Bereich sind die Rechnungen für Fremdleistungen erfasst, d.h. Fremdfirmen mit ihren Mitarbeitenden. Hier ist ein Rückgang auf 245,2 Mio. Euro bilanziert. 2019 waren das noch 433,8 Mio. Euro. In Relation zu den Kosten für Löhne, Gehälter und Sozialabgaben wird aus dieser Position erkennbar, wie hoch der Anteil der vergebenn Arbeiten an Dritte ist.
Bilanzsumme verzeichnet leichtes Wachstum
Die Zusammenstellung aller Vermögenswerte zum Stichtag 31.Dezember 2020 ergab eine Bilanzsumme von 1,672 Mrd. Euro. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein leichtes Wachstum (1.597 Mrd. Euro).
- Aktiv-Seite der Bilanz: Das Anlagevermögen des Konzerns ist leicht gestiegen. Es beläuft sich auf 409,3 Mio. Euro (Vorjahr:406,7 Mio. Euro). Das Umlaufvermögen ist ebenfalls angestiegen. Es beläuft sich auf 1.045 Mio. Euro Ende 2020 (Vorjahr: 811,7 Mio. Euro). Hier hat es vor allem einen Zuwachs bei den unfertigen Erzeugnissen und unfertigen Leistungen (im Klartext: im Bau befindliche Schiffe) gegeben. Sie belaufen sich auf 1,27 Mrd. Euro (Vorjahr: 1,186 Mrd. Euro). Die Position „Kassenbestand, Guthaben bei Banken und Schecks“ wird mit 54,7 Mio. Euro ausgewiesen (2019: 88,11 Mio. Euro).
- Passiv-Seite der Bilanz: Die stärkste Veränderung auf der Passiv-Seite ist im Bereich der Verbindlichkeiten gegenüber Banken Sie haben sich von 2019 zu 2020 mehr als verdoppelt und belaufen sich jetzt auf 885 Mio. Euro (Vorjahr: 420 Mio. Euro).
Das bilanziell ausgewiesene Eigenkapital ist von 567 Mio. Euro auf 385 Mio. Euro zurückgegangen. Das gezeichnete Kapital liegt konstant bei 360 Mio. Euro.
Auslastung sinkt bis 2025 kontinuierlich auf 45,7 Prozent
Neben den Zahlen wird in dem Jahresabschluss auch eine Gesamteinschätzung getroffen. Diese macht deutlich, was die Werft unternommen hat, um eine Perspektive für den Erhalt des Konzerns zu entwickeln, nachdem die Kreuzfahrtbranche durch die Pandemie lahmgelegt wurde. Zitat: „Der Konzern hat mit seinen Kunden im Geschäftsjahr 2020 das zunächst bis 2023 geplante Bauprogramm von jährlich drei abzuliefernden Schiffen auf nunmehr zwei Ablieferungen pro Jahr bis in das Jahr 2025 gestreckt, ohne dass Aufträge storniert wurden. Mit dieser Streckung des Bauprogramms ist bei der derzeitigen Anzahl der Mitarbeiter eine deutliche Unterauslastung verbunden.“ Mit namhaften Neubauaktivitäten der großen auf dem Weltmarkt agierenden Reedereien, die gegen diese Unterauslastung wirken könnten, sei „nicht vor den Jahren 2023/2024 zu rechnen“.
Zu der Unterauslastung am Standort Papenburg hat die Werft an anderer Stelle im Jahr 2021 auch Zahlen genannt: Die Auslastung der Papenburger Werft, die auf ein jährliches Bauvolumen von 420.000 Groß-Tonnage (GT, steht englisch für Bruttoraumzahl BRZ) ausgelegt ist, zu verbessern. Für die kommenden Jahre sinkt die Auslastung kontinuierlich. Stand Februar 2022 sind in 2022 Aufträge mit einem Volumen von 324.000 GT, für 2023 von 236.800 GT, für 2024 von 194.700 GT und für 2025 über 182.000 GT in den Büchern. Damit sinkt die Beschäftigung auf 45,7 Prozent.
Weitere Restrukturierungen ist notwendig
Im Jahresabschluss wird festgestellt, dass „die Einführung von Kurzarbeit und weitere im Geschäftsjahr 2020 umgesetzte Kosteneinsparungen die reduzierte Betriebsleistung und die zusätzlichen Kosten durch pandemiebedingt veränderte Bauprozesse für das Jahr 2020 noch nicht vollständig kompensieren“ konnten. Für die Folgejahre seien weitere Kosteneinsparungen und Restrukturierungsmaßnahmen geplant, die zwischenzeitlich bekanntermaßen zum Personalabbau führen. Insgesamt sollen etwa 450 Arbeitsplätze am Standort Papenburg abgebaut werden. Darauf hatten sich im Juli 2021 die Geschäftsführung, Betriebsrat und IG Metall nach langen Diskussionen verständigt. Am Standort Rostock sollen 180 Mitarbeitende entlassen werden (Quelle: Mitteilung der Werft von 26. Mai 2021).
Neue Technologien sind eine „dringende Notwendigkeit“
Der jetzt veröffentliche Jahresabschluss 2020 geht auch auf Perspektiven ein. Dabei spielt der Bereich Forschung und Entwicklung eine wichtige Rolle. Ziel sei es, anspruchsvolle Technologien zu erforschen und zu entwickeln. „Kerninhalte sind dabei vor allem nachhaltige Materialien und alternative, nachhaltige Antriebstechnologien, um umweltfreundliche Kreuzfahrtschiffe zu bauen. Partnerschaften mit Universitäten, Forschungsstellen, Herstellern etc. werden gepflegt und damit die Verbindung zur nationalen und internationalen maritimen Forschungslandschaft gehalten.“ Um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, sieht der Konzern weiterhin „die dringende Notwendigkeit, neue Technologien und Prozesse im Bau und Betrieb von Kreuzfahrt-, Flusskreuzfahrtschiffen und sonstigen Spezialschiffen zu entwickeln und voranzubringen.“ In diesem Bereich seien auch Anträge auf Zuschüsse aus bestehenden Förderprogrammen gestellt worden.
Deutliche Marktschieflage und weltweite Überkapazitäten
Die Auswirkungen der Pandemie und die massiven Wettbewerbsverzerrungen auf dem weltweiten Markt zeigen nach Ansicht des Papenburger Schiffbauunternehmens eine „deutliche Marktschieflage“. Unternehmen und Regierungen in Asien hätten in der Pandemie schnell mit Kampfpreisen und zusätzlichen Subventionsprogrammen reagiert. Zitat: „Die Schiffbauindustrien in China, Südkorea und Japan wurden im Jahr 2020 weniger stark getroffen als der europäische Markt. Durch gezielte Inlandsbestellungen dieser Länder konnten die Auftragseinbrüche eingedämmt werden. (…) Europäische Werften hingegen verzeichneten einen dramatischen Auftragseinbruch in Höhe von 64 Prozent. Die asiatischen Werften fokussieren sich dabei zudem auf den derzeitig angeschlagenen Kreuzfahrtmarkt.“
Für die Meyer Werft gelte, dass in dieser Gesamtkonstellation eine „grundsätzliche bzw. gewisse Auslastung des Konzerns bis zum Jahr 2025“ gewährleistet ist. Es sei allerdings abzusehen, dass „alle Kreuzfahrtwerften mittelfristig eine massive Überkapazität verzeichnen werden“. Die flache Hierarchie in der Führungsstruktur der Gruppe ermögliche es, „schnelle Entscheidungen zu treffen und damit kurzfristig auf die veränderten Rahmenbedingungen im Markt zu reagieren.“ Dabei würden das Erschließen von neuen Märkten und die Ausschau nach alternativen Projekten intensiv forciert.
2021: Konzept für Megayacht vorgestellt
Entsprechende Aktivitäten hat die Werft bereits im darauffolgenden Geschäftsjahr 2021 entwickelt. So wurde auf der Monaco-Yacht-Show eine Projektstudie unter dem Namen „One 50“ präsentiert: eine 150 Meter lange Megayacht mit Brennstoffzellenantrieb und Batteriesystemen.
Erster neuer Auftrag für 2025
2025 würde noch mehr Arbeit zur Auslastung der Belegschaft fehlen, wenn nicht im Kerngeschäft des Kreuzfahrtschiffbau im März 2021 ein Erfolg verbucht werden konnte. Meyer gelang es seit Beginn der Pandemie als weltweit erste Werft, einen Neuauftrag unter Vertrag zu nehmen, auch wenn das Schiff mit einer Länge von 229 Metern (51.950 Groß-Tonnage) verhältnismäßig klein ausfällt. Der japanische Großkonzern NYK hat einen Neubau mit LNG-Antrieb für den Standort Papenburg beauftragt. Zudem konnte im Juli 2021 eine Absichtserklärung für den Bau eines Appartementschiffes für die M/Y Njord – ebenfalls für die Werft im nördlichen Emsland – abgeschlossen werden. Das Schiff mit 81.000 GT soll zusätzlich zu einem LNG-Antrieb über eine Hybrid-Batterie-Anlage verfügen und ozeanografische Forschungsanlagen an Bord haben.
*Hinweis:
Die obigen Darstellungen berücksichtigen NICHT den Werftstandort Turku, bei der die Familie Meyer im August 2014 zunächst 70 Prozent der Anteile erwarb, die verbliebenen 30 Prozent wurden im April 2015 vom finnischen Staat übernommen. Zu der Struktur der Werft in Finnland wird im Konzernabschluss der Meyer Turku GmbH (MTG) mit Sitz in Papenburg folgende Angabe gemacht: „Im Geschäftsjahr 2016 wurde die Beteiligung der MEYER Finnland Holding GmbH & Co. KG an der Papenburger Schiffswerft Beteiligungsgesellschaft mbH (100 % der Anteile) auf die dadurch gleichzeitig neu gegründete MEYER Turku GmbH unter Fortbestand der übertragenden Gesellschaft ausgegliedert. Die MEYER Turku GmbH ist damit alleinige Gesellschafterin der Papenburger Schiffswerft Beteiligungsgesellschaft mbH geworden.“
Bei der Übernahme beschäftigte die Werft etwa 1350 Mitarbeiter, vor der Corona-Krise ca. 2.000, von denen seit Pandemiebeginn etwa 250 – geplant waren zeitweise 450 – entlassen wurden. Auch in Turku konnten die bestehenden Aufträge gestreckt werden, so dass bis 2026 Stand heute jeweils ein großes Kreuzfahrtschiff gebaut wird (Größen zwischen 111.500 bis 300.000 GT, Kunden sind Carnival Cruise Line mit einem Schiff in 2022, TUI Cruises mit einem Schiff in 2024 und Royal Carribean International mit je einem 3 Schiff in 2023, 2025, 2026.
Der Konzernabschluss der Meyer Turku GmbH (MTG) und hat laut Jahresabschluss 2020 vom 7. Oktober 2021 (veröffentlich am 12.01.2022) eine Bilanzsumme von 941,6 Mio. Euro (Vorjahr: 844 Mio. Euro). Die MTG hält sämtliche Anteile an der Papenburger Schiffswerft Beteiligungsgesellschaft mbH, Papenburg, Deutschland. Diese ist die alleinige Gesellschafterin der Turku Marine Industry Holding Oy, Turku, Finnland, welche sämtliche Anteile an der Turun Telakkakiinteistöt Oy, Turku, Finnland und der Meyer Turku Oy, Turku, Finnland hält. Die Meyer Turku Oy wiederum hält sämtliche Anteile an den Tochtergesellschaften Piikkio Works Oy, Piikkiö, Finnland, Shipbuilding Completion Oy, Turku, Finnland, und Technology Design and Engineering’nD Oy, Turku, Finnland, sowie an den Gesellschaften Meyer Tuotanto 1 Oy, Turku, Finnland, Meyer Toimisto 2 Oy, Turku, Finnland, und Meyer Tuotanto 3 Oy, Turku, Finnland.
Zusammen mit dem MEYER NEPTUN Konzern ist die MTG eine der weltweit führenden Werftengruppe zum Bau von Kreuzfahrtschiffen. Im Jahresabschluss 2020 heißt es zur wirtschaftlichen Lage der Werft: „Die Strategie der Konzerngruppe zielt auf einen langfristigen und erfolgreichen Fortbestand und Ausbau der Werft in Turku. Um den mittel – und langfristigen finanziellen Erfolg zu messen, verwendet der Konzern das Betriebsergebnis als zentrale Steuerungsgröße. Dieses beläuft sich im Berichtsjahr auf ein Minus von 24 Mio. Euro (Vorjahr ein Minus von 90 Mio. Euro) und ist im Wesentlichen auf die Einflüsse der durch die Covid-19-Pandemie bedingten Einschränkungen in der Produktion und die zeitliche Streckung des Bauprogramms der „CARNIVAL MARDI GRAS“ zurückzuführen. Daneben wird die Finanzkennzahl Gesamtleistung (Umsatzerlöse zzgl. der Bestandsveränderungen) als Steuerungsgröße verwendet. Die Gesamtleistung im Berichtsjahr betrug EUR 1.042 Mio. (Vorjahr EUR 1.150 Mio.).“ Zum Bilanzstichtag verfügte der Konzern nach Abgaben im Jahresabschluss über einen Bestand an liquiden Mitteln von EUR 37 Mio. (Vorjahr: EUR 98 Mio.). Das Eigenkapital wird Ende 2020 mit 37,799 Mio. Euro auswiesen.
Die in den Konzernabschluss der MTG einbezogenen Unternehmen beschäftigten in 2020 durchschnittlich 2.359 (Vorjahr 2.386) Mitarbeiter. Der Aufwand für Löhne, Gehälter sowie sonstige Vergütungen betrug EUR 106,5 Mio. (Vorjahr 115,3 Mio.).
- Lesen Sie unter der Überschrift „Was von den Milliarden übrig bleibt…“ eine zusammenfassende Analyse der Bilanz, die der Meyer Neptun Konzern im vergangenen Jahr für 2019 vorlegte:
Foto von Disney Dream im Papenburger Hafen vor der Werft: Paul-Henri Hartwig