Der Kreistag Leer wird in seiner anstehenden Sitzung eine besondere Leistung vollbringen. Denn: Die Abgeordneten werden in der anstehenden Woche ein Konzept beschließen, dass bereits seit Anfang 2022 offiziell sein sollte. Worum es geht? Um einen Bereich, der jeden Bürger betrifft: der Umgang und die Entsorgung mit Müll.
Ein solches Abfallwirtschaftskonzept ist keineswegs eine freiwillige Aufgabe. Es wird durch das Niedersächsische Abfallwirtschaftsgesetz vorgeschrieben. Insofern wundert es etwas, dass ein Beschluss zeitlich rückwirkend möglich ist. Sinnvoll ist das 86-seitige Konzept ohne Zweifel, denn der Umgang mit Müll, für den das kreiseigene Unternehmen Abfallwirtschaft Landkreis Leer (ALL) verantwortlich ist, ist und bleibt eine Herausforderung. Zumal der Kreis Leer seit vielen Jahren den Restmüll aus dem Kreisgebiet in die Nachbarschaft – sprich in die Grafschaft Bentheim – transportiert und es bei den Kosten und den Mengen um viele spannende Fragen geht.
Ein Blick in die Zahlen macht deutlich, dass die Experten bis 2030 insgesamt einen weiteren Anstieg der Müllmenge bis auf maximal 75.492 Gewichtstonnen (gemessen in Megagramm) erwarten (2020: 70.483). Ein Anstieg, der auch im Zusammenhang mit einer um 8.000 Menschen gestiegenen Einwohnerzahl im Kreis zu sehen ist. Das „Müllwachstum“ wird allerdings weniger durch den Restmüll, sondern vor allem durch mehr Altpapier, mehr Leichtverpackungen, mehr Altglas und mehr organische Abfälle verursacht – also in Bereichen, in denen die Wiederverwertbarkeit schon heute weitgehend gegeben ist. Insgesamt wird der Kreis in den meisten Bereichen weiterhin unter den Durchschnittswerten in Niedersachsen liegen.
Fest steht: Für die Bürger wird sich mit Blick auf die Entsorgungswege und -kosten aktuell wenig verändern. Der Blauen Tonne für das Altpapier und die Abschaffung der generell kostenlosen Sperrmüllabfuhr – die Zahl der Abholungen ist hier von über 25.000 pro Jahr auf knapp über 5.000 eingebrochen – werden erstmal keine gravierenden Neuerungen folgen. So wird eine Wertstofftonne für das Sammeln von Leichtverpackungen anstelle der Sacksammlung ausgeschlossen. Weiterhin gilt der Grundgedanke: Wer trennt und weniger Müll produziert, spürt es im eigenen Portemonnaie.
Nun könnte man ja meinen „Läuft doch“, aber es gibt auch Felder, in denen das neue Konzept schwammig bleibt. Während in vielen anderen Kreisen bereits eindeutig festgelegt ist, ab wann der Fuhrpark klimafreundlich sein soll und bereits eindeutige Vorgaben alternative Antriebsformen regeln, soll hier eine „stärkere Fokussierung“ auf dieses Thema bei Ausschreibungn erfolgen. Es ist wenig nachvollziehbar, warum hier nicht klare Kante gegangen wird.
Weiter scheinen die Verantwortlichen in der Erkenntnis zu sein, dass – salopp formuliert – „Müllvermeidungsbildung“ bisher zu stiefmütterlich behandelt wurde. Hier soll richtig Gas gegeben werden. Bei der Abfallpädagogik sind andere Regionen, beispielsweise der Kreis Dithmarschen, dem Kreis Leer viele Jahre voraus. Ein Hauptakzent wird dabei ein außerschulischer Lernort am Entsorgungszentrum in Breinermoor werden. Schülern bis zu 10. Klasse sollen praktisch erleben, welche Vorteile Müllvermeidung und -trennung ökologisch und wirtschaftlich bringt. Angekündigt wurde bereits, dass dafür ein sechsstelliger Betrag in die Hand genommen wird.
Forciert werden soll durch Digitalisierung der Kundenservice und dann ist noch ein großes Maßnahmenbündel geschnürt worden, bei dem allerdings die Umsetzungszeitpunkte nicht definiert werden. Vorgesehen sind beispielsweise die Auszeichnung von Bürgern, die sich besonders engagieren, eine Kampagne für Mehrweg Coffee to go-Becher und zum Einsatz von Brotdosen und Trinkflaschen, eine Aktion „Nutzen statt Besitzen“ als Alternative zum Produktkauf. Originell ist die Idee, ein Kochbuch für Lebensmittelreste herauszugeben. Leeranerinnen und Leeraner sollen Rezepte beisteuern, mit denen die Nahrungsmittelverwertung effizient gestaltet werden kann.
Ach ja, auch ein Runder Tisch mit den kreisangehörigen Kommunen ist geplant. Das scheint besonders sinnvoll, denn obwohl alle Kommunen die Möglichkeit hatten, sich zu den neuem Abfallkonzept zu äußern, brachten lediglich – neben dem Leda-Jümme-Verband, der Schutzgemeinschaft Wallheckenlandschaft und dem NABU – die Gemeinden Westoverledingen und Holtland Anregungen ein. Dabei wird es in den nächsten Jahren auch stark darauf ankommen, dass die Kommunen klare Vorgaben machen, wie bei Festen mit Müll verfahren wird, wie die Schulen stärker eingebunden werden und nicht zuletzt, wie die immer noch bestehende Problematik der wilden Müllablagerung nach den Erfolgen seit 2012 weiterhin in den Griff bekommen werden kann.