„Zukunft? Wir müssen wieder für mehr Menschen anschlussfähig sein und in den Lebenswelten stattfinden“

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„Auf einen Tee mit …“ – Heute mit Dr. Susanne Bei der Wieden, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche

LEER Als Präsidentin der Evangelisch-Reformierten Kirche mit Sitz in Leer hat Dr. Susanne Bei der Wieden viele Aufgaben und Herausforderungen zu meisten. In der Rubrik „Auf einen Tee mit…“ spricht die 56-jährige Theologin über die Veränderungsnotwendigkeit ihrer Kirche, ihren Umgang mit Kirchenaustritten, den Personalmangel auf allen Ebenen und darüber, wie sie die Rolle Gottes bei dem aktuellen Ukraine-Krieg sieht. Weitere Themen sind ihr Cello, Erchingers Schweineweide in Logabirum und ihr dringlichster Wunsch an die katholische Kirche.

Evangelisch-reformiert – das steht für mich für…

… starke Gemeinden, eine klare Sprache in Gottesdiensten, gutes theologisches Mitdenken auf allen Ebenen, ein großes Herz für die Diakonie sowie eine wechselvolle und manchmal leidvolle Geschichte mit der Erfahrung von Flucht und Ankommen.

Kirchenpräsidentin zu sein, heißt für mich…

… in der aktuellen Zeit eine hohe Verantwortung zu tragen und ein vielseitiges Amt mit einem breiten Aufgabenspektrum auszuüben, das mir viel Freude macht. Ich habe ein leidenschaftliches Interesse, den Charakter unserer reformierten Kirche im Einklang mit erforderlichen Veränderungen zu bewahren. Wir haben bei dieser Veränderung, die derzeit auch alle anderen Kirchen erleben, einen besonderen Schatz: Wir führen die Gespräche auf Augenhöhe mit vielen Mitgliedern, die viele kluge Gedanken einbringen.

Mein Wunsch, Pastorin zu werden, ist gewachsen, weil …

Dazu gibt es sehr viele Aspekte. Sicherlich, weil ich in einer Kirchengemeinde mit intensiver Jugendarbeit groß geworden bin, und ich immer großes Interesse an theologischen Fragen hatte und einen Lehrer, der mich gefördert hat. Ich durfte zudem einen Pastor erleben, der mich mit seinen tollen Predigten begeistert hat.

Eine Predigt zu schreiben …

… ist für mich immer wieder eine spannende Aufgabe. Der wichtigste Aspekt ist dabei die Frage: Wie gelingt es mir, die Auseinandersetzung mit Themen aus der Bibel so umzusetzen, dass sie eine Brücke in die Lebenswelt der Menschen bauen, die vor mit sitzen.

Nach Leer in diese Aufgabe hat es mich gezogen, weil…

…  ich gefragt wurde und es mir gut vorstellen konnte. Ich hatte schon in Frankfurt Erfahrung in der Kirchenleitung und wusste für mich sehr schnell, dass die Aufgabe in Ostfriesland eine schöne Herausforderung als letzte Station meines aktiven Berufslebens sein würde

Wenn ich an das Durchschnittsalter der Besucher der Gottesdienste denke, dann …

… denke ich, dass das durchaus jünger sein könnte. Es ist unsere Aufgabe, die Kirche wieder stärker zu den jüngeren Menschen zu bringen. Wir machen dafür viel – aktuell die Taufkampagne mit Festen. Events auf einem Hof oder das Posaunenfestival in Weener. Ich hoffe sehr, dass dadurch wieder mehr Menschen den Weg zu uns finden.

Wer mir erzählt, dass er aus der Kirche austreten will, dem antworte ich, dass …

Ich frage nach dem Warum. Die Antworten sind dann sehr unterschiedlich. Sind es finanzielle Gründen, dann erzähle ich gerne, was die Kirche macht und werbe für die Solidargemeinschaft, in der die, die verdienen, die Menschen in schwierigen Lebenslagen – und das weltweit – unterstützten. Kirche ist mehr als nur der Unterhalt von Gebäuden und das Zahlen von Gehältern. Wenn jemand sagt, dass er mit der Arbeit der Kirche nicht zufrieden ist, dann höre ich sehr genau zu und gehe auf die Themen und die Kritik ein. Manchmal kommt als Antwort auch: Ich brauche die Kirche nicht mehr, ich habe von der Taufe bis zur Heirat alles bekommen. Dann sage ich: Der Glaube hat immer im Leben eine Relevanz und frage direkt, was passieren muss, damit das bei der Person so bleiben kann. Kurzum: Es gibt keine pauschale Antwort.

Die größte Herausforderung als Kirchenpräsidenten ist …

… die Menschen, die treu zu ihrer Kirche halten und an den gewohnten Strukturen hängen, zu ermutigen, sich für Menschen zu öffnen, die mit dem Bisherigen nichts anfangen können. Es geht für uns darum, dass wir uns so verändern, dass wir wieder für mehr Menschen anschlussfähig sind und mehr in den Lebenswelten stattfinden mit dem, was uns auszeichnet und stark macht. Die zweite große Herausforderung ist der große Personalmangel. Wir müssen Wege finden, damit wir weiterhin ausreichend Fachpersonal auf allen Ebenen finden.

Wenn mir jemand sagt „Warum lässt Dein Gott zu, dass in der Ukraine Krieg geführt, gemordet und sinnlos zerstört wird“, dann reagiere ich darauf mit und sage, dass…

…  nicht Gott diesen Krieg führt, sondern die Menschen. Gott nimmt uns so ernst, dass er uns in unserem Handeln gewähren lässt. Wir sind nicht seine Marionetten. Gott hat uns seine Gebote gegeben, damit Menschen friedlich zusammenleben. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, warum es nicht gelingt, die Weisungen und Gebote zu befolgen. Der Krieg und die Taten sind menschengemacht.

Die Taufkampagne „tauffrisch“ steht für mich für…

einen Weg, Menschen zu ermutigen, ihren Kindern dieses wunderbare Geschenk der Taufe und der Aufnahme in die christliche Gemeinschaft zu machen.

Junge Menschen für die Kirchen zu begeistern, gelingt am besten mit…

… Verständnis für ihre Lebenswelt und die Fähigkeit, ihre Sprache zu sprechen.

Kirche und Klimaschutz – dazu fällt mir ein, dass …

… Klimaschutz gelebte Schöpfungsverantwortung ist und wir als Kirche einen großen Beitrag dazu leisten können.

Von der katholischen Kirche würde ich mir wünschen…

… in erster Linie als Frau, dass sie in ihrer Kirche die Rolle der Frauen überdenkt.

Mein Lieblings-Bibelvers ist…

Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohlmachen. (Psalm 37, Vers 5)

Ich habe das letzte Mal gelogen, als…

Dazu fällt mir nichts sein.

Cello spielen ist für mich

… ein Weg, zu entspannen und Stress abzubauen, kreativ zu sein und meine Gefühle zum Ausdruck zu bringen.

Das letzte Buch, das ich gelesen habe, ist…

Christiane Hoffmann: Alles was wir nicht erinnern. Zu Fuß auf den Fluchtwegen meines Vaters.

Mein Lieblingsplatz in Leer ist…

…  die Wiese mit Erchingers Schweinen in Logabirum. Es macht gute Laune, den Ferkeln beim Rumtollen zuzusehen.

Ich kann mich so richtig aufregen über…

…  Hass, Hetze und entsprechende Parolen im Internet.

Ich kann mich so richtig freuen über, …

 …  die wunderbare Blütenpracht in unserem Garten.

Kraft kann ich tanken, wenn…

…  ich Cello spiele und eine gute Predigt höre.

Ich sollte mal wieder…

… (schmunzelt) das Unkraut zwischen den Pflastersteinen auf der Auffahrt wegkratzen.

Mein größter Fehler ist, dass …

… ich oft zu viel auf einmal will.

Wenn ich drei Wünsche frei habe, dann…

…  wünsche ich mir für die Kirche, dass wieder mehr Menschen anfangen, sich intensiv mit der frohmachenden Botschaft auseinander zu setzen, dass wir als Gesellschaft wieder stärker aufeinander hören und achten und für mich persönlich, dass mir noch sehr viele Jahre mit meinem Mann und unserer Tochter geschenkt werden.

Seit September 2021 ist sie die Präsidentin der Ev.-Reformierten Kirche:  Dr. Susanne Bei der Wieden (56).

Foto: Ulf Preuß

Holger Hartwig„Zukunft? Wir müssen wieder für mehr Menschen anschlussfähig sein und in den Lebenswelten stattfinden“