DIE KOLUMNE: Die Friesenbrücke – und was kommt dann?

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Vor allem die Menschen in Westoverledingen und im Rheiderland schauen nach dem Schiffsunfall 2015 gespannt auf das Thema Friesenbrücke. Sie hoffen, dass wirklich bis 2024 die Bahn-, Rad- und Fußgängerverbindung über die Ems wieder möglich ist. Ob die neue Brücke für die Menschen – täglich passierten bis zu 700 Einheimische und Radtouristen die alte Brücke – zu der gewünschten Erleichterung wird, scheint allerdings noch nicht fest zu stehen. Ebenso steht noch nicht fest, inwieweit die Bahnlinie für den ÖPNV ein Durchbruch in neue Zeiten werden kann. Was nützt es, wenn die Brücke fertig ist, aber meist offensteht?  Was bringt es, wenn die Anbindung der Linie über die Bahnhöfe – werden noch weitere wiederbelebt? – bzw. deren Haltestellen für Busse aus den Nachbarorten nicht bestens organisiert ist?

Stichwort „Überwegungszeit“: Wie lange pro Tag bzw. Stunde wird Europas künftig größte Dreh-Hub-Brücke – Gesamtlänge 337 Meter, davon als Drehteil in der Mitte 145 Meter für Schiffspassagen – geöffnet und damit nicht passierbar sein? Die Fahrgastverbände in den Niederlanden und aus Deutschland befürchten, dass die Brücke im schlechtesten Fall nur 20 Minuten pro Stunde für Radfahrer und Fußgänger verfügbar ist. Die Experten des Wasserstraßen- und Schifffahrtsamts Ems/Nordsee widersprechen zwar aktuell – zumal die neue Brücke sich in wenigen Minuten öffnen und schließen lässt – doch man darf gespannt sein, wie das ausgeht. Meist sind Befürchtungen nicht ganz aus der Luft gegriffen. Vielleicht lohnt sich ein Blick in den Leeraner Partnerkreis aus der Wendezeit, Wolgast. Dort vor den Toren Usedoms wird seit Jahrzehnten viermal am Tag zu festen Zeiten die Brücke für 15 Minuten für den Schiffsverkehr geöffnet.

Stichwort Nahverkehr: Noch viel stärker wird es darauf ankommen, wie es die Politik in der Region schafft, die Anbindung an die „Wunderlinie“ – so heißt bekanntermaßen der schnelle Zug zwischen Bremen und Groningen – gelingt. Gut, die Modernisierung der Haltestellen Bunde (bis Ende 2024) sowie Ihrhove (erst 2025) ist fest eingeplant, darüber hinaus wird auch noch Neermoor im Kreis Leer ertüchtigt und über Oldersum diskutiert. Die Akzeptanz der Bahnlinien im Kreis Leer wird maßgeblich davon abhängen, wie die Rheiderländer, Westoverledinger und Moormerländer am besten ohne Auto an den Bahnsteig kommen. Wie das umgesetzt werden soll, „müssen die Kommunen der Region mit den Verkehrsanbietern selbst regeln“, schreibt die Kreisverwaltung dazu. Ob das nicht eine ideale Koordinierung- und Steuerungsaufgabe der Kreisverwaltung sein könnte, darf zumindest hinterfragt werden, denn in anderen Regionen Deutschlands ist es selbstverständlich, dass ein Landrat und sein Team alle an einen Tisch holen, um koordiniert als Gemeinschaft das Beste herauszuholen. In dieser Hinsicht muss man allerdings feststellen: Derartige Herangehensweisen haben unter Landrat Matthias Groote (SPD) im Vergleich zu seinen Vorgängern für den Kreis zumindest keinen Aufschwung bekommen…

Dem entgegen steht ein vollmundiger aktueller Vorstoß Grootes. Er möchte die S-Bahn-Strecke Bremen – Bad Zwischenahn bis nach Leer verlängern und dadurch mehr ÖPNV-Attraktivität schaffen. Das Nachfassen bei der Kreisverwaltung lässt erahnen, dass das ein ganz weiter Weg wird. Zitat aus der Kreishaus-Antwort: „Dazu liegt bisher ein Konzeptvorschlag des Fahrgastverbandes ProBahn vor. Eine Verlängerung der S-Bahn müsste im Zusammenhang mit der Wunderlinie überlegt werden. Voraussetzung dafür wäre ein zweispuriger Ausbau auf der Strecke Leer – Oldenburg. Eine erste Kostenschätzung hat der Fahrgastverband ProBahn in seinem Konzeptvorschlag vorgenommen.“ Was der Kreis nicht mitteilt ist, dass dieser Ausbau bis mindestens 2030 Utopie bleiben dürfte. Warum? Der zweigleisige Ausbau, der dafür notwendig wäre, ist nicht im Bundesverkehrswegeplan enthalten, weil eine zu geringe Auslastung berechnet wurde und damit die Wirtschaftlichkeit fehlt.

Nun gut, ähnliche Argumente musste in den 1990er Jahren auch Grootes Vor-Vorgänger Andreas Schader hören. Der hat damals intensiv einige Jahre dafür gekämpft, dass die Strecke über die Ems nicht komplett durch die Bahn stillgelegt wurde. Seinerzeit waren es, wie heute, die Niederländer, die sich auch für einen Ausbau einsetzten. Ursprünglich sollten die schnelleren Züge bereits 2018 fahren, stattdessen gibt es nun acht Jahre einen gut organisierten Schienenersatzverkehr. Die Geduld bei den Grenznachbarn – inklusive des Festhaltens an den Plänen trotz jahrelanger, wohl typisch deutscher Diskussionen bis zum Neubaustart – ist anzuerkennen. Vor allem, weil sie auch auf ihrer Seite in die 50 Kilometer von insgesamt 173 Kilometern viele Millionen investiert haben. Sie tragen – die millionenschwere Brückenerneuung ausgenommen – zwei Drittel des etwa 160 Millionen teuren Ausbaus der Gesamtstrecke. Die Niederländer werden mit Interesse verfolgen, was auf deutscher Seite bis zur Fertigstellung der Friesenbrücke noch an Ideen entwickelt wird. Jeder Fahrgast wird als Argument zählen, wenn es um die Zukunft und Vielfalt der Strecke im gesamten Kreisgebiet geht. Hilfreich könnte für den Landrat und die Bürgermeister die gewollte bundespolitische Verkehrswende hin zur Bahn sein. Ein Argument mit Blick auf funktionierende Konzepte haben sie dabei nicht: Zeit. Die war seit dem Schiffsunfall vor acht Jahren wahrlich ausreichend vorhanden, um alle Hausaufgaben für das Kreisgebiet gemeinsam gemacht zu haben.

Holger HartwigDIE KOLUMNE: Die Friesenbrücke – und was kommt dann?